Liebe Gemeinde !

1. Themensuche

Am letzten Tag des ersten Jahrzehnts des neuen , dritten Jahrtausends sollen diese Minuten uns gut tun, auch ein bisschen geistlich und theologisch innezuhalten.
Neben dem persönlichen Jahresrückblick gäbe es viele Blickrichtungen, die wir aufnehmen könnten:

Die ersten zehn Jahre im dritten Jahrtausend – was haben sie gebracht – wie hat sich unsere Gesellschaft verändert. Natürlich ist dieses Feld schon von verschiedenen Zeitschriften und den PNP  in der Ausgabe vom 28.12.09 bearbeitet worden.

2009 – 1989
20 Jahre Fall der Mauer;
„ Es muss zusammenwachsen, was zusammen gehört“ , hat einst Bundespräsident Richard von Weizsäcker gefordert.
Ein Teil der Gemeinde war erst vor drei Wochen in der schönen, pulsierenden Messestadt Leipzig und konnte sich ein Bild davon machen, wie viel in zwanzig Jahren schon gewachsen und renoviert ist.

2009 – 1949
60 Jahre Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland –
Wie stabil ist unsere Demokratie und wie ist das Verhältnis von Staat und Kirche gewachsen ?  Auch ein interessantes und spannendes Thema – eigentlich seit Januar mein Thema für heute Abend.

2009 –1809
200 Jahre evangelische Kirche Bayerns – 6 Jahre nach dem Prozess der Säkularisierung garantierte König Max I per Edikt die Gleichheit der Konfessionen in Bayern. Verfassungsrechtlich war damit die „Evangelische Kirche Bayerns „ geschaffen. Keine (neue)Geburtsstunde, aber zumindest ein historisches Geschenk.

Nein, all das will ich in der letzen Predigt nicht bedenken, sondern ich will zum Kreuz aufschauen und mit dem Apostel Paulus sagen:

„Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren gehen; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft.“

 

2. Das Straßburger Kruzifixurteil

Ich denke, sowohl für unseren Mikrokosmos im südlichen bayerischen Wald und im Landkreis Passau/ FRG  als auch für unseren Makrokosmos in Deutschland und Europa sowie für die globale Entwicklung in unserem Dorf Welt ist eine wichtige zukunftsweisende Frage, wie wir mit den religiösen Identitäten und Identifikationen sensibel und friedevoll umgehen.

Ich möchte daran erinnern, dass der 11. September 2001 mit seinem Anschlag auf das WTC nicht nur ein blutiger Akzent des Machtkampfes zwischen marktorientierten amerikanischer Wirtschaftswelt und arabischen Fundamentalisten war, dessen Auswirkungen wir auch heute in vielen alltäglichen Erlebnissen nachspüren können.

Ich möchte daran erinnern, dass vor kurzem sich die Schweiz gegen den Bau von Minaretten ausgesprochen hat und eine kontinentale Diskussion ausgelöst hat.
Auch die Diskussion über den Minarettbau in München und der Errichtung des zweitgrößten Minaretts in Duisburg gehören in diesen Zusammenhang.

Auch in diesen Zusammenhang, allerdings erweitert, gehört das Kruzifix Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Straßburg.

Eine aus Finnland stammende Italienerin hatte geklagt, dass ihre Kinder in Italien in Räumen ohne religiöse Symbole unterrichtet werden.

„Das Kreuzzeichen ist in den Klassenzimmern staatlicher Schulen nicht mit der europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar“ entschied am 4.November 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg.
„Die noch aus 1920er- Jahren stammende Anordnung in Italien, jeden Klassenraum mit einem Kreuz zu versehen, verletzte die Religionsfreiheit der Schüler und das Erziehungsrecht der Eltern.“

Im Detail  nachvollziehen können  die Entscheidung bis heute nur diejenigen, die der französischen Rechtssprache mächtig sind. An eine rechtzeitige Übersetzung ins Englische oder Italienische oder gar Deutsche hatte am Gerichtshof niemand gedacht.

Die römisch-katholische Kirche reagierte bestürzt, und die italienische Öffentlichkeit war sich ausnahmsweise mit MP Berlusconi einmal einig – nämlich der Entscheidung aus Straßburg auf keinen Fall Folge leisten zu wollen.

3. Das Kruzifixurteil in Deutschland

Mit Kruzifixurteilen kennen wir uns in Deutschland aus.
Schon 14 Jahre früher, im Jahre 1995 entscheid das Bundesverfassungsgericht, das bayerische Schulrecht verstoße mit der Anordnung, in jedem Klassenzimmer sei ein Kreuz anzubringen, gegen das Grundgesetz.
Der Beschluss löste einen Sturm der Entrüstung aus, die Volksseele kochte, Zigtausende Demonstranten stimmten mit den Füßen ab.
Das Bundesverfassungsgericht erlebte ein schreckliches Jahr. Denn es hatte schon im Vorfeld so ziemlich alles inhaltlich falsch gemacht, was es falsch machen konnte.
Es entschied ohne mündliche Verhandlung, der den Entscheidungsgründen vorangestellte Leitsatz missglückte vollständig. Der damalige Regierungschef (Helmut Kohl) äußerte sein Unverständnis für die Entscheidung und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber brachte den Unmut der breiten Bevölkerung auf den Punkt:
„ Wer christliche  Symbole aus der Öffentlichkeit verbannen will, trifft unsere Kultur in ihrem Lebensnerv. Wer das kreuz abnimmt, schafft nicht Neutralität, sondern Leere.“

4. Das Kruzifixurteil von 2009

Bei aller Ähnlichkeit im gerichtlichen Missmanagement und in der Wirkung bestehen doch zwischen diesen beiden Kruzifix-Entscheidungen gravierende Unterschiede:
Dieses Mal urteilte kein nationales Verfassungsgericht, sondern ein überststaatlicher Gerichtshof, der für den gesamten Kontinent die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards überwacht.
Die Entscheidung des Gerichtshofs hat vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer Bedeutung. Mehr als 50 europäische Staaten haben die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnet.
Nimmt man den Gerichtshof beim Wort, sind nun in ganz Europa die Kreuz in öffentlichen Gebäuden und Schulen abzuhängen.

Das ist starker Tobak . Und falsch.
Denn in den Unterzeichnerstaaten bestehen sehr verschiedene Staatskirchensysteme, aber auch sehr unterschiedliche Schulsysteme.
Daraus resultieren stark voneinander  abweichende Traditionen, religiöse Bezüge in der Schule zuzulassen oder gar zu verbieten.
Und das Kreuz ist ja mehr als ein kreuz , es ist ein Symbol.

5. Das Kreuz als Symbol

Symbole sind allgemein vielschichtig und mehrdeutig.
Das macht den Rechtsstreit um Symbole so kompliziert.

Den einen ist das Kreuz ein religiöses Symbol, das für die Erlösung des Menschen durch Tod und Auferstehung Christi steht.
Den anderen ist es ein kulturelles Symbol, das abendländische Werte und Normen, Toleranz und die Achtung menschlicher Würde zum Ausdruck bringt.
In solchen Symbol-deutungsstreitigkeiten gibt es kein richtig und falsch, kein Recht und Unrecht.

6. Conclusio

Ich bin der Überzeugung, uns so kommen wir schon zu den Schlussgedanken,

  • dass wir gut beraten sind, Europa nicht nur als Wirtschaftsraum zu präsentieren, sondern Europa als christlich geprägtes Abendland mit einer über 2000 jährigen Geschichte zu begreifen.
  • Dass wir im Kontinent Europa gut beraten sind, die christlichen Werte von Nächstenliebe, Gottesliebe und Bewahrung der Schöpfung zentral zu bewahren und dies je nach nationaler, regionaler und lokaler Ausprägung ganz unterschiedlich sich zeigen wird.
  • Dass es eine Frage des christlichen Selbstverständnisses ist, souverän und von Fall zu Fall prüfend, gut und geschwisterlich mit anderen Religionen, allen voran mit dem Islam, umzugehen.
„Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren gehen; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft.“