„Perfectum est – es ist vollbracht, Johannes 19, 16-30

 
 

Liebe Gemeinde !


I. Perfektum est

„Perfectum est – es ist vollbracht!“
In dieser Gewissheit möchte ich auch einmal sterben.
So im Einklang mit mir selbst und voller gewachsenem Vertrauen zu meinem himmlischen Vater.
So im Einklang mit mir und meinem Lebensentwurf, dass ich sagen kann: Ziel erreicht, alles perfekt, alles vollbracht. Nun kann ich gehen.
„Perfectum est – es ist vollbracht!“

So sagt Jesus am Kreuz des Karfreitags. Ich habe mein Werk vollendet.
Karfreitag ist der traurigste Tag in der Geschichte zwischen Gott und Mensch.

In den vier Evangelien Matthäus, Markus, Lukas und Johannes finden wir verschiedene Berichte über das Sterben von Jesus – den saubersten, den weichsten finden wir im Johannesevangelium.
Der Evangelist Johannes beschreibt das Sterben von Jesus sehr unspektakulär.
Es fließt kein Blut. Es gibt keine bildhaften Erzählungen über Folter, Todeskampf und Ende.

Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er:“ Es ist vollbracht!“
Und neigte das Haupt und verschied.

„Es ist vollbracht!“ – auf lateinisch – „perfectum est.“

Was soll daran perfekt sein, dass Menschen den Sohn Gottes wie einen Schwerverbrecher hingerichtet haben ?

Was soll daran perfekt sein, wenn ein Mensch unschuldig stirbt ?

Was soll daran perfekt sein, wenn Leben mitten in seiner Blüte abgebrochen wird?


II. Menschen unterm Kreuz

Wie erlebten Mitmenschen diesen letzten Tag, die letzten Stunden Jesu ?

Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.
Da sprachen sie untereinander:“ Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll.“
So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt. „Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.“

Die Soldaten machen bei Jesus ihren Job; sie schlagen ihn ans Kreuz – selber nachdenken ist weder erwünscht noch erlaubt; Befehl und Gehorsam, oben und unten;
(Nebenbei bemerkt bin ich froh, dass das in unserer Kirche anders ist, dass jeder aufgerufen ist, selbstständig mitzudenken, in evangelischer Freiheit eine  eigenen gewissenhafte Entscheidung zu finden)

Befehl und Gehorsam bei den Soldaten, die neben Jesus gleich noch zwei Verbrecher an die nächsten Kreuze schlagen.
Was die Leute angerichtet haben, ob sie zurecht hingehängt werden – das ist nicht ihr Job. Was sie tun , haben sie nicht zu verantworten.
 Kann man ihnen einen  Vorwurf machen?

Wie erlebten andere Mitmenschen diese letzten Stunden Jesu ?
Eine Menge Schaulustiger war dabei.
Denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe der Stadt.

Gut denkbar, dass viele, die bei Jesu Einzug noch sehr begeistert waren, nun vorbeischauen: Wie reagiert er, der auf dem Esel so friedvoll und langsam in Jerusalem eingezogen ist,- wie reagiert er, dem noch vor wenigen Tagen eine johlende Menge „Hosianna, Hosianna“ entgegenrief ?
Vielleicht passiert ja doch noch ein Wunder, ein Zeichen; vielleicht erfüllt er doch noch die ganz konkreten Erwartungen vieler Menschen ?
Vielleicht kommen ja doch noch Legionen von himmlischen Heerscharen und vertreiben die römischen Besatzer.

Die Schaulustigen sind Zuschauer, sie tun ihren Job: zuschauen aus sicherer Entfernung, sich nicht einmischen, ein bisschen betroffen sein und dann gemütlich wieder heimgehen.
Kann man ihnen, den Namenlosen aller Zeiten, ein Vorwurf machen ?

Und dann befinden sich Menschen mit Namen unter dem Kreuz .
Drei Frauen sind es, die genannt werden und ein Mann:
Maria, die Mutter von Jesus,
Maria, die Mutter des Kleopas,
Und Maria Magdalena, die in den engeren Kreis der Begleiterinnen von Jesus hineingehört.
Als einziger Mann steht der Jünger Johannes bei ihnen.
Diese vier bilden zusammen mit dem sterbenden Jesus am Kreuz eine Einheit.
Und was in dieser kleinen Gemeinschaft geschieht, das ist mitten in der Trostlosigkeit des Sterbens ein Hoffnungsschimmer.

Jesus spricht, weist an, sagt nur ein paar wenige Worte.
Jesus ist der Einzige, der in das Entsetzen hinein noch etwas zu sagen hat.

Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter:“ Frau, siehe, das ist dein Sohn.!“
Danach spricht er zu dem Jünger:“ Siehe, das ist deine Mutter !“
Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

Jesus sieht das Leid der Welt , kulminiert in den Personen unter dem Kreuz.

Da ist Maria, die Mutter von Jesus; Maria leidet endlos.
Sie leidet, wie jede Mutter leidet, wenn eines ihrer geliebten Kinder durch den Tod weggerissen wird.
Wahrscheinlich leidet Maria auch, wie Jesus sterben muss: abgestempelt und verurteilt als Verbrecher, von den Soldaten über hergerichtet, von seinen Jüngern verlassen, hängt ein jämmerliches Häuflein Mensch am Kreuz –
 Wie kann eine Mutter das ertragen ?

Und da ist Johannes, der Jünger, den Jesus lieb hatte.
Er leidet wie einer, der seinen besten Freund verliert.
Und er leidet, weil seine ganzen Wünsche und Hoffnungen zerbrechen.
 Er hat an Jesus geglaubt. Für Johannes war Jesus der Messias.
Für den Jünger Johannes stirbt am Kreuz nicht nur der Mensch Jesus, nicht nur der Freund Jesus. Mit Jesu Tod sterben am Kreuz auch der Glaube und die Hoffnung des Johannes. Sein Leben wird leer und sinnlos.

III. Jesus verbindet unter dem Kreuz

Jesus sieht die Menschen unter dem Kreuz.
Und wir , liebe Gemeinde, stehen, sitzen, sind auch alle unter dem Kreuz.
Jesus sieht jeden in seiner Trauer, Hilflosigkeit, enttäuschten Erwartung , mitunter auch in der Sinnkrise.
Jesus sieht jeden, wie er nur auf sich selber schauen kann und gar nichts mehr anderes sehen kann.
In dieser Verlorenheit ist Jesus der einzige, der noch Worte findet.
Und diese Wort sind ein Zeichen der Hoffnung für die Menschen unter dem Kreuz – und wir sind alle auch unter seinem Kreuz.

Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter:“ Frau siehe, das ist dein Sohn.!“
Danach spricht er zu dem Jünger:“ Siehe, das ist deine Mutter !“
Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Jesus öffnet den beiden, die bisher in ihrer Trauer nur sich selber gesehen haben, die Augen füreinander. Während die Soldaten sich das materielle Erbe aufteilen, stellt Jesus die entscheidende Weichen für das soziale und emotionale Erbe. Jesus verbindet Maria und Johannes mit einander. Er macht eine neue Gemeinschaft zwischen ihnen möglich.

Diese neue Gemeinschaft beginnt unter dem Kreuz.
Dort entsteht eine neue Familie, die Familie Gottes, die Gemeinde Jesu Christi.

In diese Familie sind alle hineingenommen, die sich unter dem Kreuz Jesu sammeln. Damals und  heute.

In dieser Familie sollen wir die Augen geöffnet bekommen, offene Herzen und helfende Hände haben für die Menschen, die verloren sind:
Verloren in der Abgestumpftheit ihres Herzens,
 verloren in der Trauer und Angst ihres Lebens.
Von Jesus dürfen wir Liebe und Kraft erbitten, dass wir mit den Verlorenen dieser Welt einen Weg gehen, der aus den Fängen des Todes befreit zu neuem Leben.
 Nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern das Leben, das an Ostern aufblüht.

Denn auf den Karfreitag folgt der Ostersonntag,
 auf den Tod die Auferweckung aus dem Grab,
auf das Los-werden der Menschen gegenüber Gottes Sohn folgt als Antwort das Fest-halten Gottes am Menschen.
„Perfectum est – es ist vollbracht!“
So sagt Jesus am Kreuz des Karfreitags. Ich habe mein Werk vollendet.
Karfreitag ist der traurigste Tag in der Geschichte zwischen Gott und Mensch.
Amen                                                                                     Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne.