Predigt am 23.06. 2012 zum Festgottesdienst nach der Einweihung der Jan-Toman- und Pfarrer-Kroll-Straße um 18.00 Uhr
 
 
 

Liebe festliche Gemeinde !
Liebe Gottesdienstbesucher aus nah und fern !

Für den Ort Tiefenbach und die politische Gemeinde im engeren und weiteren Sinne ist heute ein trauriger Tag. Denn heute früh um 10.00 musste in einem feierlichen Gottesdienst der Altbürgermeister und Ehrenbürger der Gemeinde Tiefenbach, Herr Ludwig Rankl zu seiner letzten Ruhe geleitet werden.
Ein Bürgermeister durch und durch, von 1972 bis 1996 verantwortlich als Erster Bürgermeister für die Entwicklung seiner Heimatgemeinde.
Natürlich war er mit dem damaligen Bürgermeister Silbereisen und dem damaligen evangelischen Pfarrer Hans Kroll am 28. Juni 1970 bei der Einweihung dieser Kirche auch dabei.
Und gut erinnere ich mich noch an die sehr schöne und großzügig gestaltete Feier anlässlich seines 80.ten Geburtstags im Festsaal des Gasthofes Knott. Eine Anekdote ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben, erzählt von seinem Schwiegersohn Hansi.
Die Großfamilie ist anlässlich einer Feierlichkeit zusammengekommen und Ludwig Rankl sitzt auf der Couch und blättert das Telefonbüchlein durch.
„Was machst denn du?“ fragen ihn seine Kinder, skeptisch betrachtend.
Da antwortet der Herr Bürgermeister, nun ganz privat und mit Kopfschütteln:
„Ha, das sollst doch gar net glauben, da gibt es noch ein paar Leut in Tiefenbach, die kenn ich gar net.“

Mich hat diese Geschichte - vom Dr. Paulik Hansi erzählt –beeindruckt, wie ein guter Hirte, wie auch ein guter Pfarrer, so hat dieser Bürgermeister versucht, alle Bewohner seiner Heimatgemeinde zu kennen und im Blick zu haben.
Womit wir den Bogen zu Pfarrer Kroll schlagen können.

Auch dieser Mann hat versucht, so viele seiner ihm Anvertrauten so gut wie möglich zu kennen.
Im Gegensatz zum Rankl Ludwig hat er seine Heimat verloren, wie nahezu alle Evangelischen, die hier im gut katholischen Land leben.

Heimat, das ist zuerst einmal der Ort, an dem ich meine tiefliegenden Wurzeln habe, wo ich herkomme, wo ich die Sprache spreche, den Dialekt spreche und mich auskenne.
Heimat, das ist der Ort, an dem ich zu Hause bin, an dem ich willkommen bin, an dem sich Haustüren und Herzenstüren für mich wie selbstverständlich öffnen.
Heimat ist also ein emotionaler Begriff, der viel mit Gefühl und Geborgenheit zu tun hat, mit Geschichte und Geschichten.
Diese (geografische) Heimat haben die beiden Namensstifter der beiden neuen Straßenzüge, der böhmische Maler Hans Müller, der sich den Künstlernamen Jan Toman aneignete und der schlesische Pfarrer Hans Kroll, aufgeben müssen, zurücklassen müssen im Rahmen der Vertreibung nach dem verlorenen II. Weltkrieg. Und beide sind dann – nach einigen Irrungen und Wirrungen – im niederbayerischen Großraum Passau gelandet.
Das war zunächst keine Heimat, nicht nur die Sprache war eine andere, sondern auch die Zugehörigkeit.

Heimat – ins Lateinische übersetzt heißt patria und daraus ableitend kennen wir das Adjektiv „patriotisch“. Lange haben wir in Deutschland Schwierigkeiten gehabt nach unserer schuldbeladenen Geschichte, ein gesundes und gutes Heimatgefühl, ein vernünftiges Maß an Patriotismus zu entwickeln. Aus meiner Sicht gelang der Durchbruch erst durch das Sommermärchen bei der Fußball WM 2006 und auch heute trägt der Fußball einen großen Beitrag zum Prozess der Integration und der Inkulturation bei, wenn wir die gestrige Aufstellung Revue passieren lassen: neben den bayerischen Burschen Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Lars Bender spielen Menschen mit Migrationshintergrund wie Jerome Boateng, Sami Khedira und Mario Gomez für das deutsche Vaterland und stärken unsere Leistungsfähigkeit.
Manchmal braucht man Zugereiste, die von außen kommen, einen anderen Blick haben, andere Geschichte und andere Erfahrung haben und zur Bereicherung der heimischen Leistungsfähigkeit einen wichtigen Beitrag leisten können.
Und so war es auch nach 1945 mit Unmengen von evangelischen Flüchtlingen aus Schlesien, Preußen, dem Banat und anderen Regionen.
Und sie kommen nach Niederbayern, diesem besonderen Fleck Erde.

Ich persönlich bin überzeugt, dass die Niederbayern ein ganz besonders erdverbundener Volksstamm sind. Als Gründe neben vielen anderen mögen die geringe Fluktuation, der wenig industrialisierte Arbeitsmarkt und die dünne Besiedelung eine Rolle spielen. Der Niederbayer hat Haus, Hof und Garten und oft genug auch ein Stück Wald. Es gibt genug Arbeit daheim und daheim ist daheim. Die Nacht im eigenen Bett, das hat was.
Ich erinnere mich noch gut an das Gesicht meiner Schwiegermutter, eine echte Niederbayerin, als wir ihr eröffneten, dass nach der Hochzeit ihre Tochter von Tiefenbach nach Tittling ziehen werde. „Was, so weit“ war ihre erschreckte Reaktion. Mittlerweile nimmt sie auch öfter diesen so weiten Weg auf sich.

Der Niederbayer ist heimatverbunden, erdverbunden und er ist katholisch – und das ist auch gut so. Noch besser wäre es, wenn er gut und intensiv katholisch im guten Sinne des Wortes wäre und sich im Alltag und am Feiertag fest für seine Kirche engagiert. Denn wir brauchen, auch als evangelische Kirche, auch als kommunales Gemeinwohl, eine starke und lebendige katholische Kirche.
Die Evangelischen in Niederbayern sind nicht normal, damit meine ich, sie haben in der Regel keine normale, sondern eine bewegte und oft auch bewegende Geschichte hinter sich oder in ihrer Herkunftsfamilie. Viele sind nach Flucht und Vertreibung hierher gekommen und haben es selbstverständlich gelernt, sich hinten anzustellen. Damit Du dies auch in Würde tun kannst, benötigst Du ein starkes Selbstbewusstsein.

Der erste evangelische Pfarrer, der den Evangelischen dieses Profil, diese Stärkung an der Identität mitgegeben hat, war Pfarrer Hans Kroll, selber ein Flüchtling und seine Frau Frieda.
Pfarrer Kroll, geboren am 9. Oktober 1913 im schlesischen Breslau – in dem Jahr, in dem die dortige Jahrhunderthalle eingeweiht wurde – war von 1947 ab bis zu seinem Ruhestand 1981 der zuständige evangelische Pfarrer für den nördlichen Landkreis Passau – außerdem hatte er noch etliche andere Aufgabengebiete wie Jugendpfarrer, Studentenpfarrer, Gefängnispfarrer, Stellvertreter des Dekans und Herausgeber des Gemeindeboten, um nur einige zu nennen. Kein anderer evangelischer Pfarrer hat in diesem Großraum hier – meiner Einschätzung nach – so große und prägende Eindrücke hinterlassen wie Pfarrer Kroll. Die Fluchtstation wurde ihm zur neuen Heimat, der Beruf, der er schon in Schlesien ausübte und der Glaube ist ihm Heimat geblieben.
Rückendeckung bekam Pfarrer Kroll durch seine unermüdliche und mit einem gewissen Durchsetzungsvermögen ausgestattete Frau Frieda, die ich über einige Jahre noch begleiten durfte und die zum Beispiel hier in unserer Kirche nicht nur die Orgel spielte, wie es ihr Sohn Christian heute tut, sondern die auch Paramente und Antependien mit großem handwerklichem Geschick fertigte und hier den Frauenkreis initiierte und leitete.

Aber wenden wir uns vom irdischen Heimatbegriff zum theologischen Heimatbegriff;
Im AT finden wir kaum Begegnungen, die den positiven Aspekt von „ Heimat“ beleuchten, stattdessen wird von unzähligen Geschichten von Flucht und Vertreibung und von Neuanfang berichtet.
Denken Sie an den Urvater Abraham, der auf Gottes Geheißt seine Heimat verlässt, denken Sie an den mühevollen Weg zurück aus Ägypten hinein in das gelobte Land und denken Sie an die erste Vertreibungsgeschichte, an jene von Adam und Eva aus dem Paradies.

Im NT könnte man beim Nachdenken über Heimat Anleihen an der heutigen Lesung des Evangeliums nehmen, das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der, der auszieht in die Ferne, weil es da draußen so schön und abwechslungsreich sein soll und der sich dann bald schon wieder nach Hause sehnt, nach dem Haus seines Vaters.
Auch Jesus selbst hat zum Begriff „Heimat“ keine romantische Denkweise. Geboren im zugigen Stall in Betlehem, aufgewachsen in der entgegengesetzten Richtung in Galiläa, umgebracht in der Stadt Jerusalem, oder besser außerhalb der Stadtmauern, hat er zu einem Schriftgelehrten gesagt:
„ Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nirgends eine Stelle, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ (Matthäus 8,20)
Heimatlos, ohne Besitz, ohne Haus kennt Jesus sicherlich jenes Psalmwort „Ich bin ein Gast auf Erden; verbirg deine Gebote nicht vor mir.“ (Psalm 119,18)

So sehr wir uns als Menschen nach Heimat sehen, so sehr müssen wir uns als Gläubige als Wanderer verstehen.
Jeden Abend lädt das Abendglockenläuten – sowohl der katholischen als auch unserer evangelischen Kirche – ein, innezuhalten und das Abendgebet zu sprechen.
„Ein Tag der sagt‘s dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit. O Ewigkeit du Schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit.“ Und nimmt damit die Gedanke auf, die im Philipperbrief stehen „Unsere Heimat aber ist im Himmel; von dort her erwarten wir den Heiland, den Herrn Jesus Christus.“

So lange wir aber auf Erden sind, ist es unsere vordringlichste Aufgabe, immer wieder und in unseren verschiedenen Rollen und Aufgaben auf das Reich Gottes hinzuweisen und die Liebe Gottes auf der Erde bestmöglich umzusetzen.
Die Nähe zu Gott oder besser das Leben aus Gottes Hand in seinem Haus, der Schöpfung, das ist also unsere wahre letztendliche Heimat, die uns all das geben kann, was wir vom Gefühl mit „Heimat“ verbinden: Sicherheit, Zugehörigkeit und Geborgenheit.
Diese Geborgenheit im Glauben kann auch jener Psalm 23 ausdrücken, nach dem diese Kirche „Zum Guten Hirten“ benannt ist. Es sei mir gestattet, nur jenen 6. und letzten Vers zu zitieren und mit diesem unser Nachdenken zum Thema Heimat abzuschließen:
„ Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ ( Psalm 23,6)

Thomas Plesch am 23.06.