Predigt am 03.11.2013 zum Thema "befreit leben"
 
 
 

Predigt am 03.11.13
Galater 5, 1-6
I.
Liebe Gemeinde,
ein Luder war er, nicht ein Luther. Ja, Sie haben richtig gehört: Luder. Dabei geht es nicht um die besondere fränkische Aussprache des berühmten Namens. Nein - der Mann, dem wir den heutigen Gedenktag der Reformation in erster Linie zu verdanken haben, hieß ursprünglich Martinus Luder. Seine ganze Familie hieß Luder.
Und als dieser Martinus um das Jahr 1517 verstanden hatte, was Gott ihm in Christus neu geschenkt hat, nannte er sich in unbändiger Freude Martinus eleutherios - Martin, der Freie.
Er war ja ein Gelehrter – und benutzte das griechische Wort für „frei“ - eleutherios. Doch das wurde ihm bald zu umständlich. Und so übernahm er nur das „th“ aus eleutherios in seinen Namen und schrieb sich von nun an Luther. Wer das verstand, wusste, was gemeint war: Martin Luther, der - in Christus - Freie!  Halleluja !!
Was muss diesem Martin Luther die Freiheit bedeutet haben, dass er sie in seinem Namen verankerte!? Was hatte er entdeckt und gefunden, dass er sich fortan nicht mehr davon abhalten ließ, diese gute befreiende Botschaft auf allen ihm möglichen Ebenen weiter zu geben?
Ein erster Anlauf war sein Anschlag der 95 Thesen gegen den Ablasshandel am 31.10.1517. Bis heute gefeiert als Gedenktag der Reformation. Martin Luther fühlte sich frei, er wusste sich frei. Aber frei – von was oder wem? Frei – für was oder wenn?
Diese Frage nach der Freiheit des Christenmenschen hat unser Dekan Dr. Wolfgang Bub in seiner Predigt zu unserem Gemeindejubiläum ausgeführt und seine lesenswerte Predigt kann auf unserer Homepage nachverfolgt werden.
Freiheit.
Freiheit ist ein großes Wort. Ein Ideal, um das es sich zu kämpfen lohnt: Ein freies Land, freie Wahlen, Religionsfreiheit – wer möchte das nicht alles? Und besonders die Menschen, die auf diesen Gebieten Unfreiheit, Einschränkungen bis hin zu Verfolgung und Gefängnis erlebt haben und bis heute erleben, die wissen, wie hoch das Gut „Freiheit“ ist.
Auch im ganz persönlichen Leben und Alltag wollen wir gerne frei sein. Als Schüler möchten wir gute Noten und viel Taschengeld, später wollen wir den Beruf wählen, der zu uns passt, möglichst viel Geld verdienen, frei sein und selber entscheiden können.
Wir wollen unseren Partner und unsere Freunde wählen. Wir wollen Urlaub machen, wo es uns gefällt. Wir wollen Karriere, Wohlstand und Gesundheit – und möglichst alt werden. All das wünschen und auch erhalten zu können, verbinden wir mit frei sein.
II.
Sind wir es? Können wir es sein? Alles wählen?
Gibt es da nicht die Ansprüche, die andere an uns stellen, angefangen schon im Kindergarten, in der Schule. Die Leistungen, die gefragt sind, der Druck in der Ausbildung. Und dann meine ganz eigenen Ansprüche, das zu erreichen, was ich mir vorgenommen habe: das Haus zu bauen, das Auto zu kaufen, die Karriere zu meistern. Gut zu sein – und im Vergleich mit den anderen doch am besten noch besser zu sein.
Und Gott und unsere Vorstellung von seinen „Ansprüchen“ haben wir dabei noch gar nicht mit ins Spiel gebracht.

Im Gegensatz zu heute hatten zur Zeit Luthers noch viele, sehr viele Menschen eine intensive Beziehung zu Gott.
Ihr Gottesbild wurde genährt von den Vorstellungen, die sie aus dem Elternhaus und der allgegenwärtigen Kirche vermittelt bekamen. Im ausgehenden Mittelalter war dies vorwiegend ein sehr strenger Gott, den es zu fürchten galt – im Leben und darüber hinaus im Tod und bevorstehenden Endgericht.
„Wir sollen Gott fürchten und lieben“ so beginnen alle Auslegungen Martin Luthers zu den zehn Geboten im kleinen Katechismus.
Ehrfurcht und Liebe. Freiheit.

Wer heute ohne Gottesverbindung oder mit einem nicht ernstzunehmenden Gottesbild aufwächst, kann sich nicht vorstellen, welche Ängste damals in den Menschen vorhanden waren – gerade weil sie eine Beziehung zu Gott hatten. Mit dem, was ein Mensch Gott schuldig blieb – wir nennen es Sünde – wurde in der Erziehung und in der Kirche viel Macht ausgeübt. Das Fegefeuer, der Glutofen der Hölle, das war jene angsteinjagende Vorstellung, die Gott stark als strafendes Gegenüber erlebte.

Martin Luder, das Luder, er suchte Gott.
Und er geht ins Kloster, weil er hofft, durch eine streng geregelte geistliche Lebensweise vor Gott besser da zu stehen.
Vielleicht ist das eine der Gründe, warum der Limburger Bischof Tebbartz van Elst nun im schönen Niederbayern Einkehrtage gestaltet.
Die Anforderungen im Kloster erledigt Luther
zu 200 % . Aber vor dem Richterstuhl Gottes und vor den Anklagen seines eigenen Herzens wird das in seinen Augen alles zu Nichts.

III.

Da macht er eine Entdeckung in der Bibel, die sein Leben umkrempelt und ihn letztlich zum Reformator macht. Er schildert fast 30 Jahre später, wie ihn die Worte Gerechtigkeit Gottes verzweifeln ließen und wütend machten: „Ich hasste diesen gerechten, die Sünder strafenden Gott. Dennoch klopfte ich beharrlich bei Paulus an. Bis ich, dank Gottes Erbarmen, auf den Zusammenhang aufmerksam wurde: Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart, wie geschrieben steht: Der Gerechte lebt aus Glauben. Da begann ich die Gerechtigkeit Gottes zu verstehen als ... Gottes Geschenk. ... Durch das Evangelium wird Gottes Gerechtigkeit offenbart, durch die uns der barmherzige Gott gerecht macht durch den Glauben. - Da hatte ich das Empfinden, ich sei geradezu von neuem geboren und durch geöffnete Tore in das Paradies selbst eingetreten. Wie sehr ich vorher die Vokabel Gerechtigkeit Gottes gehasst hatte, so pries ich sie nun als das mir süßeste Wort.“

Soweit Luder aus eigener Bezeugung.
Wer sich so wie er neu geboren und ins Paradies versetzt fühlt, der hat guten Grund, diese neue Freiheit auch in seinem Namen zu verankern.
Und ab jetzt schaut Luther die Bibel neu durch und findet es überall. Im Römerbrief zum Beispiel Kapitel 3,21 – frei übertragen: „Ich bin der Überzeugung, dass der Mensch vor Gott nicht deshalb gerecht ist, weil er gute Taten vollbracht hat, sondern ausschließlich deshalb, weil er auf Christus vertraut.“ Luther entdeckt bei seinem Bibelstudium ganz neu, was später zum Schlagwort wurde: sola gratia – allein aus Gnade macht Gott gerecht. Und das sola fide – allein aus Glauben. Nicht mehr und nicht weniger.
IV.
Und so zog Luther los, um diese wieder neu entdeckte, befreiende Botschaft weiterzugeben. Erfunden hat er diese Botschaft nicht, aber unter all dem religiösen Gemenge, das sich über die Jahrhunderte angesammelt hat, wieder neu in seine Kirche und ins Gespräch gebracht. Paulus war sein Hauptzeuge dafür. Paulus hat sich dafür eingesetzt, dass nur die Beziehung zu Jesus Christus und das, was dieser für uns getan hat, ausreichend ist für unser Heil, für unsere innere und dann auch äußere Freiheit. Und so heißt es in seinem Brief an die Galater im 5. Kapitel in der Übersetzung Martin Luthers:
Zur Freiheit hat uns Christus befreit!
So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

Welchen Knechtschaften sind wir heute ausgesetzt.
Oh, ich habe da meine klare Meinung, die aber lebensgeschichtlich geprägt ist und sicher nicht von der jüngeren Generation getragen wird.
Die neue Knechtschaft ist die Hundeleine des Handys, von facebook und der digitalen Medien.
Wenn ich sehe, dass Menschen mit dem Handy in der Hand einschlafen und dann auch wieder aufwachen,
wenn ich sehe, dass Menschen unruhig werden und den inneren Frieden verlieren, weil kein Empfang da ist oder der Akku leer ist,
wenn ich sehe, dass fast alles fotografiert und vieles gepostet werden muss,
 dann sehe ich die Knechtschaft, die Abhängigkeit von diesem Medium, das hilft, das jeder um sich selber kreist und eine scheinbare Freiheit hat, die ihn in eine tiefe Abhängigkeit stößt.
Zur Freiheit berufen.
Paulus verstand das, was Christus wollte und für uns tat, als Befreiung von innerlichen und äußerlichen Zwängen und Abhängigkeiten.
2000 Jahre später suchen wir förmlich innerliche und äußerliche Abhängigkeit.
Der neue Gott heißt: Allerreichbarkeit, und ich bin mitten im Zentrum all meiner Kommunikation.
Nun denn, vielleicht habe ich über das Ziel hinausgeschossen und deswegen schauen wir zu Luthers Entdeckung:
Mein Glaube an Christus genügt, um ein echter Christ zu sein. Ohne Angst – in ganzer Freiheit. Egal was andere – und wenn es die Kirche selbst ist – noch zusätzlich von mir fordern.
Ich brauche nichts, nur meinen Glauben an Jesus Christus.
Ich brauche auch keine guten Werke.
Ich bin frei, weil Jesus mein Freimacher, Befreier ist.

Freiheit durch den Glauben dürfen wir uns einfach schenken lassen. Erzwingen können wir die Freiheit auch nicht – aus eigener Kraft geht das nicht. Sonst binden wir uns bewusst und unbewusst an alte und neue Sklaverei. Echte Freiheit erhalten wir nur in der Abhängigkeit von Gott. Ulrich Schaffer hat es in einem Gedicht einmal so ausgedrückt:
„Wenn ich unbedingt frei sein will, beginne ich mich schon zu binden. Wenn ich meinen eigenen Willen verfolge, lege ich mich in Ketten. Ich tue, was ich nicht will.
Und wenn ich endlich meine, frei zu sein, wird die Freiheit mir zur Last, weil ich Entscheidungen treffen muss, die ich nicht treffen kann und will. Und so wird die Freiheit mein neues Gefängnis.
Meine einzige Freiheit finde ich in den Seilen, die mich an dich binden.“

V.
Das ist die Freiheit, die Paulus bezeugt und die Luther für sich und uns alle neu entdeckt hat: die Bindung an Christus. Also nicht frei von allem und jedem, aber frei für eine Beziehung zu Gott und dem Tun seines Willens.

1520 erschien die fröhlichste von Luthers reformatorischen Schriften „Von der Freiheit eines Christenmenschen.“ Am Ende dieser Schrift schreibt Luther: „Ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus und seinem Nächsten. In Christus durch den Glauben. Im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe. Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, die alle andere Freiheit übertrifft wie der Himmel die Erde.“

Diese himmelhohe Freiheit ist uns allen geschenkt – heute denken wir an den, der es seiner Kirche wieder neu bewusst gemacht hat.
Wenn Martin Luther von Freiheit sprach, so dachte er an ein Problem, das uns Heutigen, auch uns heutigen Christenmenschen, nicht mehr wirklich auf den Nägeln brennt", meint der Publizist Robert Leicht. "Wohingegen das, was wir heute für ­unsere Freiheit halten, Martin Luther überhaupt noch nicht vor Augen stand", folgert er weiter. Allemal ein Anlass, dem nachzugehen, was protestantische Freiheit bedeutet - damals und heute.
Freiheit. Ehrfurcht und Liebe. Christus.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

Thomas Plesch in enger Zusammenarbeit mit Brigitte Häusler