Liebe Gemeinde,
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Dieses Wort aus Psalm 90 ist eines jener biblischen Worte, die gerne und oft bei Trauerpredigten verwendet werden. Es steckt vieles drin: Das Kapieren, das Begreifen dass wir Hinausgehen müssen aus dieser Welt zum Einen, und das Klugwerden, das Hinübergehen in eine andere Welt, die Neugier und das Klugwerden von dem, was dann kommt, zum Anderen.
Als junger Theologiestudent besuchte ich bei Prof. Riess eine „Seelsorge“- Vorlesung in der kirchlichen Hochschule in Neuendettelsau. Er behauptete: „Jeder Mensch ist von seiner eigenen Unsterblichkeit überzeugt. Er verdrängt die Gedanken an seinen eigenen Tod, so gut es geht. Erst wenn es gar nicht anders geht, setzt er sich mit seinem Tod auseinander.“
Für mich als junger Student, lebenshungrig, wissbegierig und mit beiden Beinen auf dem Boden stehend, war dies erst einmal eine seltsame, fragwürdige Behauptung eines älteren und lebensfremden Professors.
„ Jeder Mensch ist von seiner eigenen Unsterblichkeit überzeugt.“
Nein das stimmt nicht für mich, dachte ich als junger Mensch – ich weiß doch, dass ich irgendwann einmal sterben muss – aber dieses „Wann“ ist noch so weit weg und absolut kein Thema für mich.
An dieser Einstellung hat sich bis heute für mich nichts geändert.
Ich bin mitten im Leben – ich weiß, irgendwann werde auch ich einmal sterben und ich bin der festen Überzeugung, dass das noch weit weg ist.
Obwohl ich eigentlich wissen könnte und es oft genug in meiner pastoralen Praxis erfahre, dass es ganz anders ist, dass es ganz schnell ganz leicht über Nacht anders werden kann.
Wie oft habe ich es erlebt, dass Menschen, die jünger sind als ich, mitten aus dem Leben gegangen worden sind. Wie oft habe ich es erlebt, dass eine schlimme, möglicherweise zu Tode führende Krankheit ruckzuck konstatiert und diagnostiziert wird.
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Und so versuche ich, beim Abendgebet, beim Gute Nacht Gebet, jeden Tag als kleines Sterben, als kleines Loslassen verstehen zu wollen.
Dieser Tag kommt nicht wieder, ein Tag mehr von meinem Lebenskonto ist heute verbraucht worden – und: es ist gut so.
Mein Leben, unser aller Leben läuft unweigerlich, schnurgerade auf eben jenen Punkt Omega, auf jenen letzten Tag, auf jene letzte Stunde zu.
Eine Binsenweisheit, die mir aber helfen kann, jeden Tag bewusst und dankbar aus Gottes Hand zu nehmen und in Gottes Hand zurückzugeben.
Unser ganzes Leben sehe ich als eine große Reise, die wir nutzen können, um Schätze, spirituelle Schätze, Glaubensgeschichten zu sammeln. Um in unserem Leben uns natürlich selber materiell abzusichern, aber vielmehr noch, um den Geboten Gottes zu entsprechen und in ehrlicher Demut die Nächstenliebe und die Gottesliebe - so gut es geht - in unserem Leben zentral einzubauen.
Und so können wir uns befreien von manchem Ballast, von manchem überflüssigen Gewicht frei nach jenem zynischen Lebensmotto:
„Es gibt Menschen, die kaufen Dinge, die sie nicht brauchen, mit Geld, das sie nicht haben, um anderen Menschen zu imponieren, die sie nicht mögen.“ Halleluja! – Der Gegenentwurf ist zutreffend, wie ich finde, in folgender Mönchsgeschichte konzentriert zum Ausdruck gebracht:
Ein Tourist besichtigt ein Kloster. Die Klosterzellen sind nur ganz spärlich ausgestatte. Ein Bett, ein Tisch ein Stuhl. Der Tourist fragt etwas spöttisch: Wo haben Sie denn Ihre ganzen Möbel? Aber der Mönch ist nicht auf den Mund gefallen und fragt zurück: Wo haben Sie denn Ihre Möbel?“
„Na hören Sie mal“, antwortet der, „ich bin doch hier nur auf der Durchreise!“ „Wir auch!“ antwortet der Mönch.
Mir gefällt diese Geschichte und darum gebe ich sie auch weiter: sie enthält einen Ethos, eine Grundhaltung der Bescheidenheit, der Klarheit, des Glaubens und der Lebensweisheit.
Und ich erlebe es wie oft, dass am Ende des Lebens Menschen ausmisten:
All das, was ein Leben lang stolz gesammelt worden ist, hat keine Bedeutung mehr: die tolle Eisenbahnsammlung für 30.000,-€, die große Bücher- oder Briefmarkensammlungen, selbst das liebevoll gebaute Haus und der wunderbar gepflegte Garten wird Menschen komplett unwichtig, wenn sie im Sanka abgeholt werden und spüren, sie kommen hierher nicht mehr zurück.
Oh wie flüchtig, oh wie nichtig..
Da sind die Werte bei Gott, die Zeiten bei Gott, die Liebesgeschichten bei Gott stabiler aufgehoben.
Hier in dieser Welt sind wir alle auf der Durchreise, da brauchen wir gar nicht so viele Schätze. Im Himmel wollen wir einmal bleiben. Gut, wenn wir da Schätze haben.
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Auf dass wir klug werden.
Auf dass wir klug werden und kapieren, welchen Stellenwert das umgefallene Glas Rotwein auf der weißen Tischdecke hat? Oder die Staubfussel auf der Glasplatte ?
Der 1929 in Kaufbeuren geborene und jetzt in München Schwabing lebende Schriftsteller Hans Magnus Enzersberger, ein kluger Kopf, formuliert das Geschenk des Lebens in dem Gedicht:
Empfänger unbekannt
Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.
Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andre verborgne Organe,
für die Luft und natürlich für ein frisches Weißbier.
herzlichen Dank dafür, dass mir das Feuerzeug nicht ausgeht,
und die Begierde und das Bedauern, das inständige Bedauern.
Vielen Dank für die vier Jahreszeiten, (..)
und natürlich für die Erdbeeren auf dem Teller, (..)
für den Schlaf ganz besonders, und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank, (Hans Magnus Enzensberger)
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Danken wir also hier, im Haus Gottes, dem, der uns das Leben geschenkt hat. Dem, der es in Händen hält, auch in unserer letzten Stunde. Danken wir ihm also für das Geschenk. Und bitten wir darum, dass wir dieses Geschenk als kostbares annehmen können, in dem Bewusstsein, dass es ein Geschenk bleibt, über das wir nicht verfügen können. Bitten wir darum, dass wir so „klug“ und lebensweise werden. Und das Leben schätzen.
Ob wir einmal « in Frieden fahren » können, das wissen wir nicht. Und mancher Tod soll und will beklagt, betrauert, beschrien sein. Doch da ist der Glaube, das Versprechen, dass auch in der letzten Stunde einer ist, in dessen Augen und Händen unser Leben kostbar ist, wie „vollendet“, „gottgefällig“ es auch gewesen sein mag.
Ein Tag, der sagt dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit. Oh Ewigkeit du schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit.
Und der Friede Gottes, der höher ist..
Thomas Plesch am 15.11.14 |