Liebe  Gemeinde !  
          Die Geschichte vom barmherzigen Samariter ist die Mustergeschichte für das  Gebot „ Liebe deinen Nächsten“!  
          Sie lässt sich wunderbar nachspielen und ich denke mit Schmunzeln an ein  Anspiel unserer Konfirmanden vor einigen Jahren hier in der Kirche.  
            Mehr mit Schrecken denke ich auch an ein Anspiel im Rahmen des ökumenischen  Kleinkindergottesdienstes oben in der katholischen Unterkirche. Damals hat der  Überfallene so laut geschrien, dass einige Kinder das Weinen anfingen und  andere Kinder spontan helfen wollten.  
            Anspielen, nachspielen kann man die Geschichte vom barmherzigen Samariter  eindrücklich – an eine eindrückliche Predigt über den barmherzigen Samariter  kann ich mich nicht erinnern (auch von mir selber nicht).  
          Vielleicht kann man diese Geschichte eher spüren und nacherleben als  bedenken und bereden.  
          Dabei steckt diese Geschichte voll mit der entscheidenden Frage:  
  „Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?  
          Das hiesige Leben ist begrenzt und voll mit Brüchen, Unterbrechungen und  Unvollkommenheiten. Wir sind hier also weder im Himmel noch im Paradies.  
            Aber wie geht der Zugang zum Paradies, zum ewigen Leben, zum Shalom, zum  ganzheitlichen Frieden.  
  „ Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit“   
            ruft Jesus in der Bergpredigt den zuhörenden Neugierigen zu.  
          Und wie komme ich in das Reich Gottes?  
          Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer  Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt  
              und deinen Nächsten wie dich selbst.  
          Das sogenannte Doppelgebot der Liebe – volle Kraft voraus für die Liebe zu  Gott  und volle Kraft voraus für die Liebe zum Nächsten und für sich  selbst.  
          In einem Nebensatz möchte ich hier einflechten, dass die Liebe zu einem  selber durchaus auch sehr wichtig ist und erlaubt sein muss.  Losgelöst  vom falschen Egoismus oder Narzissmus ist die Sorge für das eigene Wohlbefinden  – nach meinen pastoralen Erfahrungen – Schlüssel und Kraftquelle für die Liebe  zum Nächsten.  
          Alexandre Vinet  (* 17. Juni 1797 in Ouchy, heute Lausanne; † 4. Mai 1847 war ein Schweizer reformierter Theologe und Literaturhistoriker) hat einmal gesagt: 
  „Die  erste Seele, die dir anvertraut ist, ist deine eigene.“ 
            Ja, wir dürfen uns selbst mögen und wertschätzen. Wir dürfen ein gutes  Selbstbewusstsein haben, weil wir als Kinder Gottes einzigartig und wertvoll  sind.  
          Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.  
            Vorbilder für praktizierte Nächstenliebe gibt es einige – wie eben Albert  Schweitzer, auf dessen Spuren wir im November wandeln werden und der Friedensnobelpreisträger  1954 war.  
            Eine weitere weltbekannte Persönlichkeit für praktizierte Nächstenliebe ist  Mutter Teresa.  
  Mutter  Teresa (*26. August 1910 in Skopje, Mazedonien † 5. September 1997 in Kalkutta, Indien) war eine Ordensschwester und Missionarin albanischer  Herkunft, die die indische Staatsbürgerschaft besaß. Weltweit bekannt wurde sie  durch ihren Dienst und ihre Hilfe an Arme, Obdachlose, Kranke und Sterbende,  für die sie 1979 den Friedensnobelpreis erhielt.  
          Für  Mutter Teresa und ihr Team war es wichtig, Menschen, die von anderen übersehen  wurden oder an den Rand gedrängt wurden, gut und liebevoll zu versorgen.  Versorgung statt Entsorgung war das Leitmotto. 
            Aus der  Biographie von Navin Chawla zitiere ich: 
  Am meisten leiden sie [die  Leprakranken] darunter, dass sie von allen gefürchtet werden und dass man sie  nirgendwo haben will. Meine Schwestern und ich versuchen, ihnen ein anderes  Leben zu ermöglichen, ein zweites Leben sozusagen. Wir haben schon viele  Behandlungs- und Rehabilitationszentren in Indien aufgebaut. Dort können sie in  Würde arbeiten. Sie müssen nicht betteln. Wir stehen in sehr enger Verbindung  mit ihnen und geben ihnen liebevolle Fürsorge. Wir möchten, dass auch diese  Menschen sich geliebt fühlen.“  
            Wir möchten, dass auch diese  Menschen sich geliebt fühlen. 
            Kalkutta ist weit weg und  Leprakranke sind erst recht weit weg von unserer Wirklichkeit, von unserer  Frage nach dem Nächsten. 
            Wer sind unsere Nächsten? 
            Sind es vielleicht sogar die  Asylbewerber und Flüchtlinge? 
  Bis zu 50 Leichen in Schleuser –LKW  – so titelte am Freitag die PNP  (28.08.15) 
            Seit gut einem Jahr sind 18  Flüchtlinge im ehemaligen Restaurant Loderhof untergebracht; seit gut 4 Wochen  sind ca. 110 Flüchtlinge in der alten Schule Fürstenstein eingezogen;  und  möglicherweise kommen bald Flüchtlinge in den alten Minimal, ganz in der Nähe  unserer Kirche. 
            Sind Sie dann unsere Nächsten? 
            Oder sind das Menschen, die unser  Wirtschafts- und Sozialsystem ausnutzen? Und wenn es ihnen bei uns gut geht,  werden es dann nicht immer mehr? 
            Hier ist sicherlich eine Predigt  nicht der richtige Platz, diese Fragen differenziert und reflektierend zu  beleuchten. 
            Aber die Frage nach dem Nächsten  bleibt. 
            Aus der Jesusgeschichte vom  barmherzigen Samariter können wir lernen, dass der Nächste der ist, der 1.  hilfsbedürftig ist und der 2. auf unserem Weg liegt. 
            Zwei Männer gehen in der  Jesuserzählung an dem Verletzten vorbei, von denen man erwartet hätte, dass sie  ihm helfen: ein Priester und ein Levit. Beide predigen das Prinzip der  Nächstenliebe, beide wissen, worauf es bei Gott ankommt.  
            Aber sie haben keine  Zeit - oder vielleicht kein Herz? Oder keinen Mut ? Oder alles ?  
            Wenden wir uns der Frage  zu, die der Rabbi am Anfang gestellt hat: „Was muss ich tun, dass ich in den  Himmel komme?“  
            Jesus spricht  von dem, der geholfen hat, vom barmherzigen Samariter.  
            Dieser hat einfach die Grenzen überschritten, die zwischen ihm und dem  Verletzten am Straßenrand lagen, die Grenzen von Herkunft, Religion und Sprache;  er hat in ihm nur den Menschen gesehen, der Hilfe braucht.  Und „zufällig“  kommt der Samariter vorbei  
          Es geht um eine zufällige Situation, in die ein Mensch kommt, ganz  unvermittelt und unvorbereitet, dort, wo er gerade unterwegs ist. Und es geht darum,  dass er spontan, einfach aus menschlichem Mitgefühl heraus, hilft.  
            Wer so eine Situation schon einmal erlebt hat, wer schon einmal das Glück  hatte, im richtigen Moment das Richtige getan zu haben, spontan jemandem  geholfen zu haben, der kennt das gute Gefühl, für einen Augenblick ein  Samariter gewesen zu sein.  
            Das ist für Jesus die Tür zum Himmel, nach der der Schriftgelehrte ihn  fragt. Mitgefühl zu haben mit anderen Menschen, mit anderen Lebewesen, und aus  diesem Mitgefühl heraus zu handeln.  
            Mein Nächster ist der Mensch, der meine Hilfe braucht und der so meiner  Liebe bedarf – ganz egal ob er nun nah ist, oder weit weg.  
          Doch wie hilfsbereit sind wir?*  
          Abschließend möchte ich diese Frage beleuchten mit dem Bericht von einem  Experiment, das ich eindrücklich und nachdenklich machend empfinde:  
          An der Princeton- University wurde die Ethik Jesu einem „Praxistext“  unterzogen.  
            Das Experiment bestand zunächst darin, dass 40 Studenten des theol.  Seminars verschiedene biblische Texte zum Thema Hilfsbereitschaft besprachen,  natürlich auch die Beispielerzählung vom Barmherzigen Samariter.  
            Danach wurden die Studenten aufgefordert, um eine gute Note zu erzielen,  den Unterrichtsstoff einem Lehrer im Nebengebäude zu übermitteln. Dies geschah  unter drei unterschiedlichen Aufgabenstellungen mit drei Gruppen:  
          
            -  Erste Gruppe 
 
           
          Den Studenten der ersten Gruppe wurde einzeln gesagt, sie würden im  Nachbargebäude dringend erwartet und der Lehrer dort habe nur wenig Zeit.  
          
            -  Zweite Gruppe 
 
           
          Den Studenten der zweiten Gruppe wurde einzeln gesagt,  der Lehrer im  anderen Gebäude habe im Augenblick gerade Zeit und erwarte sie; man solle ihn  jedoch nicht zu lange warten lassen.  
          
            -  Dritte Gruppe 
 
           
          Den Studenten der dritten Gruppe wurde einzeln gesagt, der Lehrer nebenan  sei den ganzen Tag da und sie hätten den ganzen Tag Zeit, um die Informationen  zu übermitteln.  
     
            Auf dem Weg zum Nebengebäude kam jeder der vierzig Studenten an einem  scheinbar Schwerverletzten vorbei, der am Torbogen mit dem Kopf nach unten lag  und stöhnte.  
          Wie nun, liebe Gemeinde, wird dieses Experiment ausgegangen sein und was  können wir aus dem Ergebnis für unsere Hilfsbereitschaft lernen?  
          Das Verhalten der drei Versuchsgruppen war äußerst unterschiedlich:  
            Je eiliger es die Studenten zu haben meinten, desto weniger Hilfe leisteten  sie.  
            Nur 10 % der ersten Gruppe, jener also, die sich unter Stress und großem  Zeitdruck fühlte, leistete Hilfe.  
            Von der zweiten Gruppe leisteten 45 % Erste Hilfe.  
            Von der dritten Gruppe, die sich am wenigsten unter Zeitdruck und Stress fühlten,  kümmerten sich immerhin 63% um den Verletzten.  
          Neben anderen Entdeckungen nehme ich aus diesem Experiment mit, dass  offensichtlich ein entspanntes Zeitbudget unsere Bereitschaft zu spontanen  Hilfsleistungen deutlich erhöht.  
          Oft meinen wir, keine Zeit zu haben – und dadurch besteht die Gefahr, dass  unsere Welt herzloser und liebloser wird:  
          
            - keine  Zeit für die Zuwendung zu Gott 
 
            - keine  Zeit für die Hilfsbreitschaft zu unserem Nächsten 
 
            - keine  Zeit für das Baumeln lassen unserer Seele 
 
            -   
 
           
          Nehmen  wir uns die Zeit und hören hinein in die Frage, Was wir tun  müssen, um das ewige, zeitreiche Leben zu ererben: #  
            (* aus RU-Werkstatt Oberstufe 12.1 A4)  
             
          Lukas 10, 25 -37  
              Der barmherzige Samariter 
            25Und siehe, da stand ein  Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass  ich das ewige Leben ererbe?  
            26Er aber sprach zu ihm: Was steht  im Gesetz geschrieben? Was liest du?  
            27Er antwortete und sprach: »Du  sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von  allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst«  
            28Er aber sprach zu ihm: Du hast  recht geantwortet; tu das, so wirst du leben.  
            29Er aber wollte sich selbst  rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?  
            30Da antwortete Jesus und sprach: Es  war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die  Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen  ihn halb tot liegen. 
            31Es traf sich aber, dass ein  Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber.  
            32Desgleichen auch ein Levit: Als er  zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber.  
            33Ein Samariter aber, der auf der  Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn;  
            34und er ging zu ihm, goss Öl und  Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte  ihn in eine Herberge und pflegte ihn.  
            35Am nächsten Tag zog er zwei  Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du  mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme. 
            36Wer von diesen dreien, meinst du,  ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?  
            37Er sprach: Der die Barmherzigkeit  an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!  
  So geht hin und tut desgleichen!   
  In Gottes Namen – Amen  
          Thomas Plesch am 28.08.2015 |