Irdisches Leben und Ewiges Leben
Predigt am 13.11.2016

 

Memento
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang.
Nur vor dem Tod derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt, den eignen Tod , den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.
(mascha kaleko- aus : verse für zeitgenossen)

Das Traurige, das Schmerzliche, das Verlustvolle – sie sagt es so schön –
auch die Schwierigkeit, zu bleiben, am Leben zu bleiben, weiter zu leben.

Wie denn? Wozu denn? Warum denn?  Wenn der Lebensinhalt  - der geliebte Ehemann, die geliebte Ehefrau, das eigene Kind gegangen ist, nicht mehr greifbar, begreifbar, spürbar unter uns sind.

Das irdische Leben ausgehaucht.
Das irdische Leben – Erde – Mutter Erde – oh Vater im Himmel –Warum?
Ausgehaucht – kein Hauch von Leben mehr.
Und wer beim Ableben dabei war, wird wohl ähnliches gespürt erlebt haben – nach dem ärztlich festgestellten Ableben.
Nein, mein Lieber, der atmet noch, die Bauchdecke geht noch nach oben und nach unten.
Nein, er atmet nicht mehr.
Aber man will es nicht wahrhaben, kann es nicht annehmen.
Gerade in letzter Zeit so viel Pflege, so viel Berührungen, so viel Nähe, so viel Liebe.
Komisch - auf dem Sterbebett da gibt es keine Machtkämpfe mehr, keine Diskussionen, wer den Müll hinausträgt.
Wertvoll, die begrenzte Zeit, die kostbare Zeit, die man noch gemeinsam hat.
Berühren, streicheln, einfach da sein, Nähe schenken, Nichts tun –
ohne Rüstung, ohne Maske, ohne Schutz - Seite an Seite – festhalten kurz vor dem Loslassen.
Den, der geht, über-schütten, zu-decken, mit-teilen von dem, was er einem selber bedeutet, was man gemeinsam dankbar und freudig und bewegend und haftend bleibend erlebt hat.
Kostbare Minuten, Stunden, Tage, Wochen.
Plötzlich ist das Leben begrenzt – aber war es das nicht schon immer? –   
begrenzt an Zeit und Kraft und Liebe und natürlich auch an Geld.
Plötzlich ist das Leben begrenzt, weil das Ende herüberwinkt.
Oder – wie es Franz Kafka ( 1883- 1924) bildhaft eindrücklich formuliert:
„Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.“

Die Sonne geht unter – zu erwarten und doch ein Skandal – jetzt ist es soweit – der Augenblick, vor dem ich mich so lange gefürchtet habe.
Der liebe Mensch geht – ich bleibe.
Irdisches Leben und ausgehauchtes Leben .  Zwei Seiten - auseinander gebracht
Aus Gemeinschaft wird Einsamkeit, Verlassenheit.

Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Und was bleibt mir?
Und was soll ich jetzt?
Und wer bin ich jetzt?
Und was mache ich mit der ganzen Zeit, die ich bisher gerne geteilt habe mit dem, der gegangen ist und die nun leer, ungefüllt, scheinbar sinn-los ist?
Und was machen meine Freunde, meine Familie mit mir, mit meiner neuen Rolle?
Bloß nicht um das Erben streiten – davor wird schon eindringlich in der Bibel gewarnt!
Und das haben wir doch gerade erst beim Loslassen lernen müssen: das letzte Hemd hat keine Taschen – ach, wie verflucht ist der Mensch, dass er so gerne und  zentriert materiell denkt – aber ein Tod, eine Geburt, eigentlich eine jede geist-reiche Begegnung – die ist spirituell!!
Materiell und spirituell – Materie greifbar und spirituell spürbar – da liegt ein besonderer Geist in der Luft.
Bitte das Spirituelle zeitlebens nicht vernachlässigen, das Göttliche, die Seele.

„Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht, was er Dir Gutes getan hat“!
Oh ja, am Ende des Lebens trotz aller Bitterkeit und Traurigkeit nicht vergessen, was war da Gutes dabei. Geschenkte Zeit, geschenkte Begegnungen, geschenkte oder hart erarbeitete Erfolge.
Nimm Gott mit in dein Boot; Gott hat andere Dimensionen als die unseren hier auf der Erde, Zeit und Raum.
Und beim Sterben sind diese beiden doch so stets wichtigen Dimensionen plötzlich auf Null.

Die Zeit zum Leben – Null
Der Raum zum Leben – Null.

Aber wir Menschen mit unserer Seele sind keine Nullnummer.
Wir sind keine seelenlose Nummer, die 51, 80 oder 94 Jahre sich abrackern und null bleibt zurück und null geht weiter.
„Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden.“ heißt es bei Markus im 16. Kapitel nach der Geschichte der leeren Grabkammer am Ostermorgen.
Und deswegen ist es unsere Hauptaufgabe im Leben, unseren Glauben zu entdecken, zu entwickeln und zu entfalten.
Ich will nicht so kühn sein, zu behaupten, dass Menschen, die im Glauben gewachsen sind, angstlos mit dem Tod umgehen können.
Ich will aber behaupten, dass Menschen, die im Glauben gewachsen sind, zumindest getrost mit dem Tod, mit der Übergabe an Mutter Erde, mit der Hoffnung auf unseren Vater im Himmel umgehen können.
Zumindest theoretisch – praktisch - wirklich mag es dann wieder ganz anders sein.
Memento
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang.
Nur vor dem Tod derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt, den eignen Tod , den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.
(Mascha Kaleko- aus : Verse für Zeitgenossen)

….       muss man leben --- bitte aushalten  .. muss man leben.
Auch das Leben derer, die geblieben sind, ist ein Geschenk.
Nutzt das Geschenk Eures Lebens für die Arbeit in der Trauer und für die Arbeit im Glauben – oder wie es Jesus in der Bergpredigt formuliert:

„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“

Und in diesem Reich Gottes soll - nahezu unvorstellbar – alles anders sein als beim irdischen Leben – keine Krankheit, keine Tränen, kein Streit.
Aber wir sind noch nicht im Paradies und das Leben ist kein Wunschkonzert.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Seele!