„Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und
der größte Bestseller aller Zeiten“
Predigt am 03.09.2017

 
 

Liebe Gemeinde!

„Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und
der größte Bestseller aller Zeiten“

so lautet der Spiegel-Bestseller von Christian Nürnberger und Petra Gerster.
Schon lange ist mir dieses Buch empfohlen worden und im Sommerurlaub kam ich nun endlich zum Lesen.

Theologisch, gerade auch in Bezug auf Luther wohl gebildet, habe ich dennoch in dem Buch einiges Neues entdeckt – das uns sowohl die Person Martin Luther als auch unseren evangelisch-lutherischen Glauben weiten und vertiefen lässt.

1. Martin Luther – „a Hund war er scho“ – würde wohl der Niederbayer sagen und damit meinen, dass er mit vielen Wassern gewaschen war und clever genug war, um immer wieder auf die Beine zu fallen.

 

Wir schreiben das Jahr 1522 – Martin Luther ist landauf landab bekannt und beliebt – er bringt neue Ideen und will doch zurück zu den Quellen.
Er hat eine eigene fundierte Meinung gegenüber dem Papst und der katholischen Kirche. Luthers Gedankengut verbreitet sich fast überall, auch hinter die Mauern der Klöster.
Freiheit liegt in der Luft.
Träume von einem anderen Leben werden geträumt.
So auch im Kloster Marienthron in Nimbschen in der Nähe von Grimma an der Mulde.

Eine der Nonnen, gerade mal 24 Jahre jung schreibt einfach an Luther.
„Bitte, Prof. Dr. Martin Luther, helfen Sie mir und acht weiteren Nonnen, dass wir aus dem Kloster fliehen können.
Und was macht Martin Luther?
Martin Luther hilft.
Martin Luther kennt den Lebensmittellieferanten des Klosters, Leonhard Koppe aus Torgau, und ist sogar mit ihm befreundet.
Koppe soll bei einer seiner nächsten Lieferungen mit Fisch, Bier und Hirse die Frauen nachts und heimlich in seinen Pferdelieferwagen verstecken, herausschmuggeln und in das sichere Wittenberg bringen.
Es klingt so einfach und ist so lebensgefährlich – denn wer Mönche oder Nonnen zur Flucht verhilft, kann nach Landesrecht zum Tode verurteilt werden.
Ostern 1523 um Mitternacht ist der verabredete Termin und alles geht gut.
Zwei Jahre später wird eine der acht entlaufenen Nonnen, eine gewisse Katharina von Bora den 16 Jahre älteren weltberühmten Dr. Martin Luther unverblümt erklären, sie wolle ihn haben und heiraten.
Martin Luther zaudert und zögert ein bisschen, er ist ja auch schon über 40 Jahre – aber dann kann es ihm nicht schnell genug gehen: Verlobung und Hochzeit werden zusammengelegt – auf den 13. Juni 1525.
Und mit der Hochzeit versöhnt sich Martin Luther wieder ein Stück mit seinen Eltern, die eine ganz andere Lebensplanung für ihren Sohn hatten.
Bei der späteren großen Feier 14 Tage später, der sog. Wirtschaft ist als Ehrengast eingeladen: Leonhard Koppe, der Klosterlieferant und Befreier Katharinas.

2. Wie aus Luder Luther wurde

In der evangelischen Theologie und dann auch im Gemeindeleben einer jeden evangelischen Gemeinde gibt es zwei Zentralwerte, die typisch lutherisch sind.
Die enorme Bedeutung des eigenen Gewissens zum Einen
und die fast schon sprichwörtliche evangelische Freiheit zum Anderen.

Schauen wir mal auf die Freiheit, die Luther sogar im Namen trägt.
Martin Luder wird am 10. November 1483 geboren.
Martin heißt er, weil am 11.11. Sankt Martin ist
Und Luder heißt er, weil einfach seine Familie so heißt.         
Ein Luder ist in unseren heutigen Sprachgebrauch ein freches Mädchen, das gekonnt weiß, andere um den Finger zu wickeln.
Fährt man auf der A 3 von Passau Richtung Nürnberg, kommt kurz hinter der Ausfahrt Altdorf der Ludergraben.
Ob Luder in dieser Zeit auch Mädchen sind, die käuflich sind, entzieht sich meiner Kenntnis.
Martin Luther heißt 34 Jahre seines 63 Jahre dauernden Lebens Martin Luder, mehr als die Hälfte also.

Der junge Martin Luder ist ein ängstlicher Typ, Angst vor dem strengen Vater, Angst vor den stockschlagenden Lehrern, die große Angst vor dem richtenden Gott.
Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?
Wie bin ich Gott Recht?
Diese Frage stellt sich Martin Luder existentiell, auch in all den Jahren im Kloster in Erfurt.
Ab dem Jahre 1517 kommt Martin Luder nach all seiner religiösen Höchstleistung und intensivstem Bibelstudium zu seiner und zu unserer lutherischen Erkenntnis:
„Sola gratia“ allein aus der Gnade Gottes bin ich Gott recht.
Ich muss nichts leisten, außer Gott zu lieben, von ganzen Herzen, von ganzer Seele, mit all meiner Kraft.
Eine Befreiung für den angstvollen Martinus Luder.

Jetzt ändert Martinus seinen Namen.
Jetzt will er nicht mehr Luder heißen, jetzt ist er ein neuer Mensch, ein freier Mensch – jetzt möchte er Luther heißen, was von Eleutherius kommt und „der Befreite“ heißt.
Ab jetzt hat Luther keine Angst mehr.
Und all den anderen, die diese Angst noch haben, möchte er diese Angst nehmen und sie zu einem freien Leben mit Gott und für Gott bewegen.
Das werden Lutheraner, freie Christen, die um die Gnade Gottes wissen und bitten.                                                                                                                

3. Ist Luther ein „Heiliger“?

In der evangelischen Theologie gibt es keinen „Heiligen“ – jeder Mensch ist Sünder, von Gott entfernt, nicht immer den Willen Gottes tuend und voller menschlicher Fehler.
Auch Martin Luther hat auf großer Ebene, weitreichende und menschenverachtende Fehler getan – zwei von diesen möchte ich benennen, einen davon näher beleuchten:
Luther hat einen sehr verächtlichen Zugang zu den Juden; ob Luthers abstruses Gedankengut Teilschuld an der Ermordung von 6 Millionen Juden in der NS- Zeit hat, wollen wir hier nicht diskutieren.

Wenn mir Gott keinen anderen Messias geben wollte, als die Juden ihn begehren und erhoffen, so wollte ich viel, viel lieber eine Sau als ein Mensch sein“, schlussfolgerte der Reformator 1543 in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“, dem hasserfülltesten und maßlosesten Text.

Und Luthers zweiter großer Fehler ist aus meiner Sicht seine Positionierung im Bauernkrieg von 1525:

In seiner berühmt- berüchtigten Schrift Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern empfiehlt er den Fürsten, sie sollen die Bauern „zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“

Was war passiert?
Die Bauern, in der Regel Leibeigene, waren durch großen Abgaben und Steuern geplagt. Abgaben sowohl an den Adel als auch an die Kirche.
Während die Fürsten und Fürstbischöfe gut und sehr gut lebten, verarmten die Bauern immer mehr, da auch alte bestehende Rechte wie das Weide-, Holzschlag, Fischerei- und Jagdrecht von ihren Grundherren beschnitten und abgeschafft wurde.
Nun lesen die Bauern Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ von 1520 mit der einen Spitzenaussage:

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan“.

Und die Bauern begehren auf und kämpfen, in der Überzeugung, dass Gott mit ihnen sei für eine Verbesserung ihres Lebens im Diesseits.
Anfang des Jahres 1525 schreiben sie ihre Forderungen in zwölf Artikel. Diese zwölf Artikel, gedruckt im März 1525, verbreiten sich genau so schnell wie einst Luthers Schriften.

Luther reitet nun durch das thüringische Aufstandsgebiet, um die Bauern zu beruhigen und zur Mäßigung aufzurufen und macht eine neue und für ihn ungewohnte Erfahrung:
Statt wie bisher immer mit Respekt und Begeisterung empfangen zu werden, wird er mit Klingelgeläut verhöhnt, niedergeschrien und verlacht. In dieser Situation schreibt Luther die Schrift:

„Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ und er empfiehlt den Fürsten, sie sollen die Bauern „zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“

Dabei waren die Fürsten schon dabei, die Bauern niederzumetzeln und es wäre an Luther gewesen, die Fürsten zur Mäßigung aufzurufen.
Theologie und Politik, Kirche und Staat, das Reich Gottes und das Reich der Welt in guter Weise zusammenzubringen – das ist Luther 1525 nicht gelungen !

Luther also kein Heiliger - und auch die lutherische Kirche und wir als lutherische Christen sind keine Heiligen, sondern auf die Gnade Gottes angewiesen.

Mit einem Gebet Martin Luthers möchte ich die vorausgehenden Gedanken abschließen und zusammenfassen:

Siehe, Herr, ich bin ein leeres Gefäß, das bedarf sehr, dass man es fülle. Ach, Herr, hilf mir, mehre mir den Glauben und das Vertrauen. Alles, was ich habe, ist in dir beschlossen.“

Thomas Plesch am 02.09.17