Galater
Predigt am 09.09.2018

 
 

Galater 6,2

Die Galater waren Kelten. Die Namen Keltoi und Galatai waren in der Antike austauschbar. Im dritten Jahrhundert vor Christus waren die Kelten im Balkan eingefallen. Später wurden sie in der Gegend des heutigen Ankara angesiedelt. Die Galater waren Kelten genauso wie die Gallier, die uns bei Asterix der in Caesars de bello gallico begegnen.
Tatsächlich lassen sich enge Verbindungen bei Sprache, Kunsthandwerk, Recht und Religion nachweisen. Die Galater waren der erste keltische Volksstamm, der christianisiert wurde.

Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

So knapp lässt sich zusammenfassen, worum es beim christlichen Glauben geht:
Einer trage des anderen Last. Punkt, aus, das genügt. Alles, was Jesus von uns will, ist darin gesagt: Einer trage des anderen Last.
Der Satz ist eine ethische Anweisung, eine Aufforderung für den Nächsten da zu sein und ihm zu helfen, wenn es nötig ist.
Unser Glaube verweist uns also auf unseren Nächsten. Das sei hier schon einmal festgehalten.

Ein ganz kurzer Satz genügt dem Apostel: Einer trage des anderen Last. – Nicht, dass der Apostel es nicht auch ausführlicher hätte sagen können. Um unseren kurzen Satz herum zählt  er ganz viele ethische Anweisungen auf, Anweisungen wie man sich in diesen und jenen Fällen verhalten soll, was zu meiden und was zu tun ist. Aber zweimal kurz hintereinander wird er ganz knapp. Das erste Mal, ein paar Verse weiter vorhersagt er:
„Das ganze Gesetz ist in „einem“ Wort erfüllt, in dem (3.Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!«(Galater 5,14). Und dann das zweite Mal an der uns als Predigttext aufgegebenen Stelle:
„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Galater 6,2)

Es gibt eine jüdische Tradition der Knappheit, was die Erklärung des Glaubens anbetrifft. Im Judentum ist das besonders wichtig, weil sich in der Thora 613 Gebote finden lassen, die der fromme Jude auswendig zu lernen und zu halten hat. Im babylonischen Talmud, einer jüdischen Textsammlung, findet sich dazu folgende Geschichte über die beiden wichtigen jüdischen Gelehrten Schammai und Hillel. Schammai gilt dabei als der strenge, Hillel als der liberale Lehrer.
Die Geschichte geht so:

Einmal besuchte ein Nichtjude Schammai und sagte: „Ich möchte Jude werden, aber unter einer Bedingung: Lehre mich die ganze Tora, während ich auf einem Bein stehe.“
Schammai war empört über die Frechheit des Mannes, denn ein Mensch kann ein Leben lang die Tora studieren und immer noch dazulernen. Also jagte er den Nichtjuden mit einem Stock aus der Synagoge.
Kühn ging der Mann zu Hillel und sagte: „Ich möchte Jude werden, aber unter einer Bedingung: Lehre mich die ganze Tora, während ich auf einem Bein stehe.“
Hillel sah ihn an und antwortete: „Gut, das werde ich tun.“
Der Mann stellte sich auf einen Fuß, und Hillel belehrte ihn: „Was dir zuwider ist, das tu keinem anderen an. Das ist die ganze Tora. Geh jetzt und lerne alle Gebote, damit du weißt, was du tun sollst und was du nicht tun darfst.“
Der Mann ging und studierte und wurde schließlich ein frommer Jude.

Das Wichtigste auch einmal ganz knapp sagen zu können, ist für den Glauben unerlässlich.
Freilich bin ich der Überzeugung, dass Tiefe auch einer gewissen Breite bedarf.

Und trotzdem ist es gut, einfache und klare Päckchen zu haben:

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Und: Einer trage des anderen Last.
Denn beide Sätze fordern uns dazu auf, die Perspektive und Position des anderen einzunehmen.
Das ist gerade bei schwierigen Diskussionen wichtig. Denn vor lauter Rechthaberei verliert man leicht aus dem Blick, dass auch der andere ein berechtigtes Anliegen verfolgen könnte. Die beiden Sätze des Apostels lehren uns zu fragen: Welche Last trägt der andere?
Könnte ich sie auch tragen?
Wenn ich der andere wäre, was würde mir dann gut tun?
Habe ich mein Gegenüber wirklich verstanden, oder kämpfe ich nur gegen ein liebgewordenes Feindbild?
Die Sätze des Apostels fordern uns dazu auf, den anderen in seiner Andersartigkeit zu verstehen.
Und das ist eine ganz und gar nicht einfache Sache.

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Einer trage des anderen Last.
An diesen beiden Sätzen kann man sich ein Leben lang abarbeiten.
Sie sind ganz kurz und knapp. Und doch enthalten sie das ganze Gesetz Christi. Dietrich Bonhoeffer hat gesagt,
Jesus war der „Mensch für andere“. Wer glaubt, teilt diese Haltung Jesu. Er liebt seinen Nächsten wie sich selbst und trägt des anderen Last. Denn im Nächsten begegnet uns Gott.
Und wer sich an den Nächsten verliert, der gewinnt Gott.

Mit einer symbolträchtigen Geschichte, die mir zwangsläufig zu Gal. 6,2 einfällt und dir mir gut gefällt, möchte ich diese Predigt über
„Einer trage des anderen Last, und ihr werdet das Gesetz Christi erfüllen, beenden.

Es  ist die Geschichte von der Burgruine Weibertreu am Autobahnkreuz Weinsberg:

1140 war die Burg im Besitz der Welfen, die sich mit den Staufern um die Macht im Reich stritten. König Konrad III., in seinem Gefolge sein Bruder Friedrich II. von Schwaben und mehrere Bischöfe und Fürsten belagerten die  Burg mehrere Wochen lang und schlugen am 21. Dezember 1140 in offener Feldschlacht den zum Einsatz heraneilenden Welf VI. Kurz darauf ergab sich die Burg. Dem Bericht der Kölner Königschronik zufolge versprach der König den Frauen auf der Burg Weinsberg freien Abzug und gab die Erlaubnis, „dass jede forttragen dürfte, was sie auf ihren Schultern vermöchte“.
Auf die Männer aber, die für die Welfen kämpften und auf der Burg waren, wartete der Tod. Die Frauen nahmen den König beim Wort
Und ersannen sich einen bewegenden Plan, streng nach Galater 6,2. Sie trugen ihre Männer auf dem Rücken herab, denen sie so das Leben retteten, da der König sein Wort hielt.
Die Frauen wurden als Treue Weiber von Weinsberg bekannt, und die Burg kam aufgrund dieser Begebenheit zu ihrem Namen Weibertreu (vermutlich im Lauf des 18. Jahrhunderts).

Galater 6,2
Und gut, wenn Männer belastbare Frauen um sich herum haben.

Thomas Plesch am 07.09.18