Galater 6,2  
          Die Galater waren Kelten. Die Namen  Keltoi und Galatai waren in der Antike austauschbar. Im dritten Jahrhundert vor  Christus waren die Kelten im Balkan eingefallen. Später wurden sie in der  Gegend des heutigen Ankara angesiedelt. Die Galater waren Kelten genauso wie  die Gallier, die uns bei Asterix der in Caesars de bello gallico begegnen.  
            Tatsächlich lassen sich enge  Verbindungen bei Sprache, Kunsthandwerk, Recht und Religion nachweisen. Die Galater  waren der erste keltische Volksstamm, der christianisiert wurde.  
          Einer trage des andern Last, so werdet  ihr das Gesetz Christi erfüllen. 
          So knapp lässt sich zusammenfassen,  worum es beim christlichen Glauben geht: 
            Einer trage des anderen Last. Punkt,  aus, das genügt. Alles, was Jesus von uns will, ist darin gesagt: Einer trage  des anderen Last. 
            Der Satz ist eine ethische Anweisung,  eine Aufforderung für den Nächsten da zu sein und ihm zu helfen, wenn es nötig  ist.  
            Unser Glaube verweist uns also auf  unseren Nächsten. Das sei hier schon einmal festgehalten. 
          Ein ganz kurzer Satz genügt dem  Apostel: Einer trage des anderen Last. – Nicht, dass der Apostel es nicht auch  ausführlicher hätte sagen können. Um unseren kurzen Satz herum zählt  er ganz viele ethische Anweisungen auf,  Anweisungen wie man sich in diesen und jenen Fällen verhalten soll, was zu  meiden und was zu tun ist. Aber zweimal kurz hintereinander wird er ganz knapp.  Das erste Mal, ein paar Verse weiter vorhersagt er:  
  „Das ganze Gesetz ist in „einem“ Wort  erfüllt, in dem (3.Mose 19,18): »Liebe deinen Nächsten wie dich  selbst!«(Galater 5,14). Und dann das zweite Mal an der uns als Predigttext  aufgegebenen Stelle:  
  „Einer trage des andern Last, so  werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Galater 6,2) 
          Es gibt eine jüdische Tradition der  Knappheit, was die Erklärung des Glaubens anbetrifft. Im Judentum ist das  besonders wichtig, weil sich in der Thora 613 Gebote finden lassen, die der  fromme Jude auswendig zu lernen und zu halten hat. Im babylonischen Talmud,  einer jüdischen Textsammlung, findet sich dazu folgende Geschichte über die  beiden wichtigen jüdischen Gelehrten Schammai und Hillel. Schammai gilt dabei  als der strenge, Hillel als der liberale Lehrer.  
            Die Geschichte geht so:  
          Einmal besuchte ein Nichtjude Schammai  und sagte: „Ich möchte Jude werden, aber unter einer Bedingung: Lehre mich die  ganze Tora, während ich auf einem Bein stehe.“ 
            Schammai war empört über die Frechheit  des Mannes, denn ein Mensch kann ein Leben lang die Tora studieren und immer  noch dazulernen. Also jagte er den Nichtjuden mit einem Stock aus der Synagoge. 
            Kühn ging der Mann zu Hillel und  sagte: „Ich möchte Jude werden, aber unter einer Bedingung: Lehre mich die  ganze Tora, während ich auf einem Bein stehe.“ 
            Hillel sah ihn an und antwortete:  „Gut, das werde ich tun.“ 
            Der Mann stellte sich auf einen Fuß,  und Hillel belehrte ihn: „Was dir zuwider ist, das tu keinem anderen an. Das  ist die ganze Tora. Geh jetzt und lerne alle Gebote, damit du weißt, was du tun  sollst und was du nicht tun darfst.“ 
            Der Mann ging und studierte und wurde  schließlich ein frommer Jude. 
          Das Wichtigste auch einmal ganz knapp  sagen zu können, ist für den Glauben unerlässlich.  
            Freilich bin ich der Überzeugung, dass  Tiefe auch einer gewissen Breite bedarf. 
          Und trotzdem ist es gut, einfache und  klare Päckchen zu haben: 
          Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.  
            Und: Einer trage des anderen Last. 
            Denn beide Sätze fordern uns dazu auf,  die Perspektive und Position des anderen einzunehmen.  
            Das ist gerade bei schwierigen  Diskussionen wichtig. Denn vor lauter Rechthaberei verliert man leicht aus dem  Blick, dass auch der andere ein berechtigtes Anliegen verfolgen könnte. Die  beiden Sätze des Apostels lehren uns zu fragen: Welche Last trägt der andere?  
            Könnte ich sie auch tragen?  
            Wenn ich der andere wäre, was würde  mir dann gut tun?  
            Habe ich mein Gegenüber wirklich  verstanden, oder kämpfe ich nur gegen ein liebgewordenes Feindbild?  
            Die Sätze des Apostels fordern uns  dazu auf, den anderen in seiner Andersartigkeit zu verstehen.  
            Und das ist eine ganz und gar nicht  einfache Sache.  
          Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.  Einer trage des anderen Last. 
            An diesen beiden Sätzen kann man sich  ein Leben lang abarbeiten.  
            Sie sind ganz kurz und knapp. Und doch  enthalten sie das ganze Gesetz Christi. Dietrich Bonhoeffer hat gesagt, 
            Jesus war der „Mensch für andere“. Wer  glaubt, teilt diese Haltung Jesu. Er liebt seinen Nächsten wie sich selbst und  trägt des anderen Last. Denn im Nächsten begegnet uns Gott. 
            Und wer sich an den Nächsten verliert,  der gewinnt Gott.  
          Mit einer symbolträchtigen Geschichte,  die mir zwangsläufig zu Gal. 6,2 einfällt und dir mir gut gefällt, möchte ich  diese Predigt über  
  „Einer trage des anderen Last, und ihr  werdet das Gesetz Christi erfüllen, beenden. 
          Es   ist die Geschichte von der Burgruine Weibertreu am Autobahnkreuz  Weinsberg: 
          1140 war die Burg im Besitz der Welfen, die  sich mit den Staufern um die Macht im Reich stritten. König Konrad III., in seinem Gefolge sein Bruder Friedrich  II. von Schwaben und mehrere Bischöfe und Fürsten  belagerten die  Burg mehrere Wochen lang  und schlugen am 21. Dezember 1140 in offener Feldschlacht den zum Einsatz  heraneilenden Welf VI. Kurz darauf ergab sich die Burg. Dem Bericht  der Kölner  Königschronik zufolge versprach der König den  Frauen auf der Burg Weinsberg freien Abzug und gab die Erlaubnis, „dass jede  forttragen dürfte, was sie auf ihren Schultern vermöchte“.  
            Auf die Männer aber, die für die  Welfen kämpften und auf der Burg waren, wartete der Tod. Die Frauen nahmen den  König beim Wort  
            Und ersannen sich einen bewegenden  Plan, streng nach Galater 6,2. Sie trugen ihre Männer auf dem Rücken herab,  denen sie so das Leben retteten, da der König sein Wort hielt. 
            Die Frauen wurden als Treue Weiber  von Weinsberg bekannt, und die Burg kam aufgrund dieser Begebenheit zu  ihrem Namen Weibertreu (vermutlich im Lauf des 18. Jahrhunderts). 
          Galater 6,2 
            Und gut, wenn Männer belastbare Frauen  um sich herum haben. 
          Thomas  Plesch am 07.09.18 |