Liebe Gemeinde !
„Schärf ständig frisch Dein stumpf Gewissen –
doch lass die Vorsicht nicht vermissen,
auf dass es noch, nicht allzu scharf,
taugt für den täglichen Bedarf.“ (Eugen Roth)
Oh ja, das Gewissen schärfen aber nicht zu sehr, sonst könnte es nicht alltagstauglich sein.
Das Gewissen spielt in der evangelischen Kirchengeschichte und auch in der evangelischen Ethik eine sehr bedeutende Rolle.
Dort, – vereinfacht und zugespitzt ausgedrückt – wo unsere katholischen Brüder die Enzykliken und Dogmen haben, dort wo die katholische Kirche eingebunden ist in eine gewisse hierarchische Struktur – dort beleben in der evangelischen Tradition zwei Grundwerte die Entscheidungsfindung: das Gewissen und die Freiheit.
Der evangelische Christ zeichnet sich aus durch die Verantwortung vor seinem Gewissen und seiner inneren Freiheit.
Zugänge zum Gewissen bei Martin Luther
Kein Wunder, dass in der evangelischen Theologie das Gewissen einen so zentralen Stellenwert bekommt, wenn man weiß, wie sich Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms im Jahre 1521 vor Kaiser Karl V präsentiert hat.
Es ging um Leben und Tod von Martin Luther (1483 – 1546) , als er vor hohen Vertretern der katholischen Kirche widerrufen sollte und er stattdessen sagt:
„Wenn ich nicht durch Zeugnisse aus der Hl. Schrift und
klare Vernunftgründe überzeugt werde – denn weder dem
Papst noch dem Konzil allein kann ich glauben, die offenkundig
geirrt und sich widersprochen haben -, so bin ich
überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem
Wort Gottes. Ich kann und will daher nichts widerrufen,
weil gegen das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch
heilsam ist. Gott helfe mir.“
Überspitzt formuliert könnten wir sagen, dass Martin Luther der „Vater des Gewissens“ genannt werden kann.
Martin Luther war durch und durch ein Gewissensmensch. Vor ihm hat sich niemand so zentral mit der Rolle des Gewissens beschäftigt. Es bildete sich sein Gewissensbegriff heraus, der für uns moderne Menschen so grundlegend wurde.
Dass die Freiheit des Gewissens heute so ein hoher Wert ist, ein Menschenrecht, das geht letztlich auch auf Luther zurück.
Die Gewissensprüfung bei der Anerkennung des Zivildienstes fällt nun nach der Abschaffung des Wehrdienstes zwar weg; denn och macht sie deutlich, wie wichtig das „Gewissen“ und die „Gewissensentscheidung“ hinein in die persönliche Biografie von vielen tausend jungen Männern getragen wurde.
- „Ich ringe mit meinem Gewissen!“ Martin Luther rang oft mit seinem Gewissen. Dabei ging es ihm um Wahrheit und Wahrhaftigkeit und um Freiheit. - Und er rang um einen gnädigen Gott! „Allein der Glaube ist des Gewissens Friede.“
Interessanterweise ist bei Luther das Gewissen selbst nichts Göttliches, keine „innere Stimme Gottes“, sondern etwas Menschliches.
Freilich können wir uns – nach Luther - das Gewissen als den Ort vorstellen, an dem Gott quasi ‚andockt’ an unser Leben und unsere inneren Konfliktsituationen.
Aber wo ist denn nun unser Gewissen „eingelagert“, „angesiedelt“.
Ähnlich wie bei der Seele werden wir bei Röntgenaufnahmen des Inneren auch keine Gewissen finden und lokalisieren können. Somit könnten wir – kritisch gedacht – auch die Existenz eines Gewissens beim Menschen bezweifeln.
Genauso wie die Seele gehört das Gewissen mit der Gewissensausbildung und Gewissensentscheidung zu den „inneren“ Werten – möglicherweise genau zu dem, was den Menschen von allen anderen Lebenswesen unterscheidet.
Der junge Luther setzte das Gewissen mit Herz und auch mit Seele gleich, so steht es übrigens auch im Alten Testament. Da ist nicht vom Gewissen, sondern vom Herz die Rede.
Zugänge zum Gewissen bei Dietrich Bonhoeffer
Auch ein zweiter sehr bedeutender und glaubwürdiger Vertreter der evangelischen Theologie und Ethik setzt sich mit der Frage nach dem Gewissen vertieft auseinander: Dietrich Bonhoeffer (1906- 1945);
Hineingeworfen in die verhängnisvollen Entscheidungszwänge währen des NS – Regimes überlegt sich Bonhoeffer die Frage auch vor seinem Gewissen, ob er es vor Gott und seinem glauben verantworten kann, in den Widerstand gegen Hitler zu gehen.
Nach gewissenhafter Prüfung kommt Bonhoeffer zu der Überzeugung, dass man dem „Rad in die Speichen greifen müsse“, dass man das Unrechtssystem stoppen müsse, auch wenn man sich dadurch schuldig mache.
Es gibt einfach Dilemma-Situationen im Leben, wo man Schuld auf sich nimmt, um noch größere Schuld zu verhindern.
Bonhoeffer weiß sich allein an Christus und an sein Gewissen gebunden.
Oder anders formuliert: Nicht der Staat, nicht die Kirche und auch kein Mensch soll unser Gewissen beherrschen, sondern nur die Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist.
Wer in Verantwortung Schuld auf sich nimmt , der rechnet sich selbst und keinem anderen diese Schuld zu und steht für sie ein, verantwortet sie.
Vor den anderen Menschen rechtfertigt den Mann der freien Verantwortung die Not, vor sich selbst spricht ihn sein Gewissen frei, aber vor Gott hofft er allein auf Gnade.
Das Gewissen ist also ganz deutlich weder bei Luther noch bei Bonhoeffer eine göttliche Instanz oder göttliche Stimme.
Die Verantwortung gegenüber dem eigenen Gewissen ist also eingebunden und gestärkt durch die Hoffnung auf die Gnade und Vergebung durch Gott.
Angemessenes ethisches Handeln orientiert sich weniger am eigenen Gewissen als am Gehorsam gegenüber Gott und an Verantwortung.
Für mich ist das Gewissen schon ein ganz besonderer Ort im Menschen.
Sicherlich hat das Gewissen etwas zu tun mit den Werten, die wir durch unsere Eltern und unser soziales Umfeld vorgelebt und eingeimpft bekommen haben.
Das Gewissen scheint mir, darauf aufbauend, so etwas wie eine Wächterfunktion für unser Tun zu haben. Deswegen ist das „schlechte Gewissen“ beim Verstoß gegen die inneren Werte und gegen die erwarteten Werte so etwas wie ein innerer hinweisender Zeigefinger.
Für Menschen, die aus dem christlichen Glauben kommen, stehen die christlichen Werte für richtiges oder falsches Entscheiden maßgeblich im Hintergrund.
„Das Gewissen ist die innere Stimme, die uns warnt, dass jemand zusieht“ – so verstanden hilft uns Gewissen, nicht skrupellos, verantwortungslos und letztendlich wertlos unser Leben zu gestalten.
Und das Gewissen geht immer mit uns mit, es ist tief in uns verankert und hat sozusagen ein Langzeitgedächtnis.
Und auch, wenn Luther und Bonhoeffer das kritisch sehen, sehe ich doch – und da sind Gedanken von Augustin dabei – das Gewissen als innere Stimme durchaus auch als Stimme Gottes. Und irgendwie stehen Gewissen und Seele miteinander in Verbindung.
Kein Mensch wird eine reine, fröhliche Seele haben, wenn er ein belastetes , bedrücktes Gewissen hat.
Zum Verständnis von Gewissen mag es hilfreich sein, das Wort auf zulösen:
GE – WISSEN
Die Vorsilbe GE steht für Zusammenfließen.
Im Ge-Wissen fließen verschiedene Wissensströme zusammen; das Ge-Wissen ist mehr als Wissen, ist so etwas wie das Gespür vom richtigen Tun in der entsprechenden Situation.
Ich persönlich finde in der evangelischen Theologie die hohe Bedeutung des eigenen Gewissens , das niemand menschlich untertan ist , sondern nur Gott gegenüber verantwortlich ist, sehr befreiend.
„Schärf ständig frisch Dein stumpf Gewissen –
doch lass die Vorsicht nicht vermissen,
auf dass es noch, nicht allzu scharf,
taugt für den täglichen Bedarf.“ (Eugen Roth)
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