Predigt zur Jahreslosung am 06.01.2011

 

„Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem .“ Römer 12,21

 
 

Liebe Gemeinde !

1. Gut und Böse im Römerbrief –eine Annäherung

Gut und böse, richtig und falsch, anspruchsvoll und seicht, schwarz und weiß – der Mensch in der Spannung zwischen den Polen.

Natürlich ist gut gut und böse böse – und grundsätzlich scheint es so, dass man selber gut und der andere böse ist.

Im Brief des Paulus an die christliche Gemeinde in der Weltstadt Rom steht Kapitel 12 , Vers 9 ff überschrieben mit „ Mahnung zur Liebe“ „ Hasset das Böse, haltet fest am Guten“ (Römer 12.9) „ Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf das Gute bedacht gegenüber jedermann.“ (Römer 12,17) „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem“. (Römer 12,21)

Dabei spürt der Verfasser dieser Zeilen die innere Spannung zwischen gut und böse auch in sich selber: Paulus, der sich so engagiert bis hin zum Verlust des eigenen Lebens für die gute Botschaft, das eu angelion einsetzt, war vor gar nicht so langer Zeit der Saulus, der unerbittlichste Verfolger der kleinen Christenschar.

Und dieser Paulus schreibt ein bisschen weiter vorne in seinem Römerbrief:

„ Denn ich weiß, dass in mir, so wie ich von Natur bin, nichts Gutes wohnt. Das Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. Denn das Gute, das ich will, das tu ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tu ich.“ (Römer 7,18f.)

2. Gut und Böse bei mir ?

Der Mann kennt sich aus – hoher Anspruch, gutes tun wollen – schwacher Wille, überkommender Zorn, und plötzlich wird alles anders.

Ja, wie ist das bei mir, bei Ihnen, liebe Zuhörer ?

Wo tue ich Gutes ?

Wie tue ich Gutes ?

Wie fühle ich mich dabei und danach ?

Tue ich immer mehr Gutes, gleichbeleibend Gutes, immer weniger Gutes ?

Was ist überhaupt „gut“ ?

Von wem wird das, was ich Gutes tue, anerkannt, bemerkt, wahrgenommen ?

Und warum tue ich das Gute ?

Tue ich es, weil ich mich dann besser fühle ?

Tue ich es, weil ich so erzogen bin ?

Hat mein Gutes tun etwas mit meinem Glauben, mit meiner Religion, mit Gott zu tun ?

Und noch einen Schritt weiter – vom Aktiv zum Passiv :

Wer tut mir gut ?

Mit wem bin ich gerne zusammen ?

Wie geht es mir, was spüre ich, wenn es mit gut geht.

Dazu gesellt sich der benachbarte Gedanke: Was tut mir gut ?

Was tut meiner Seele gut ?

Was kann ich genießen ?

Und die Kunst des Genießens ist eine wichtige Kunst; nicht umsonst heißt es in einem Sinnspruch: Wer nicht genießen kann, wird bald ungenießbar.

Zu der inneren Frage: Wer tut mir gut kommt die vertiefende und nachgeordnete Frage:

Wer tut mir Gutes ?

Bei dieser kleinen Reise nach innen, haben wir, haben Sie vielleicht ein klein bisschen entdecken können, was Ihnen gut tut, wann es Ihnen gut geht und welche emotionale Bedeutung diese kleine Wort „gut“ in Ihnen in uns auslöst.

3. Gut oder böse von Grund auf

Ist der Mensch von Anfang an gut ?

Oder ist der Mensch von Anfang an schlecht, böse und muss erst erzogen und hingeführt werden ?

Bei der Fragenreise nach dem Gut gehen sind Ihnen möglicherweise Bilder von Kindern eingefallen – Kinder, die so schutzlos und anvertraut in der Welt der Erwachsenen liegen und die so viel Liebe und Wärme ausstrahlen. Sicherlich nicht umsonst ist Gott als Kind, als ganz kleines Kind in diese Welt gekommen – das war das Thema der Predigt am Heilig Abend.

Also sind Kinder von Grund auf gut ?

Mir fallen Bilder aus dem Kindergarten ein: ein Kind sitzt in der Ecke und baut verträumt vor sich hin einen großen Turm aus Holzklötzchen auf. Ein anderes Kind beobachtet dieses, geht hin, schubst den Turm um und lacht.

Der Mensch von klein auf schlecht ?

Eine philosophische Frage. Eine Frage nach den Anfängen.

4. Gut und Böse im Paradies

Die Frage nach Gut und Böse ist die Frage nach Mann und Frau.

Nicht, dass der Mann gut und die Frau böse sei oder umgekehrt der Mann böse und die Frau gut.

Die Frage nach Gut und Böse ist die Frage nach Mann und Frau in dem Sinn, dass der erste Mann, der Erdling, Adam und die erste Frau, Eva von dieser Frage nach gut und böse am Anfang des Mensch seins auch schon gefangen gewesen sind.

Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die GOTT der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte GOTT gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten ?

Da sprach das Weib zu der Schlange: wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;

Aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat GOTT gesagt: esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!

Da sprach die Schlange zum Weibe: ihr werdet keineswegs des Todes sterben,

sondern GOTT weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie GOTT und wissen, was gut und böse sei.

Wie die Geschichte weiterging und ausging mit den bildhaften Folgen bis in die Jetzt-Zeit dürfte allgemein bekannt sein.

Wohl nicht ganz so bekannt ist der letzte vorgetragene Bibelvers: Wenn der Mensch vom Baum der Erkenntnis isst, wird er sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

Es ist also etwas Göttliches, genau zu wissen, was gut und was böse ist.

Das heißt auch, alle menschliche Bemühungen um das rechte Wissen von gut und böse werden im Vorläufigem enden, werden nicht perfekt, vollkommen absolut richtig sein.

Das heißt des weiteren: wenn der Mensch schon gar nicht so genau weiß, was gut und böse ist, dann ist es sein Tun noch weniger.

„Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem .“

Römer 12,21

Das ist der Anspruch der Bibel und unserer Jahreslosung an alle, die im Namen Gottes ihr Leben zu gestalten versuchen.

5. Gut sein wollen – ein Balanceakt – Bildbetrachtung

„Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem .“

Römer 12,21

Diese Mahnung und Ermunterung steht auf der Kalenderkarte, die hoffentlich einen guten Platz, vielleicht sogar ihren Stammplatz findet – im Geldbeutel, auf dem Schreibtisch, im Schreibmäppchen (...) Unter diesen fünf Textzeilen sehen wir einen Menschen auf einem etwas breiteren Seil. Er balanciert. Er scheint auch die Balance gut halten zu können.

Wie jeder balancierende Seiltänzer hat er sein Ziel vor Augen, nämlich heil dort anzukommen, wo er wieder festen Boden unter den Füßen haben wird. Nun aber, zwischen Himmel und Erde vollzieht er einen Balanceakt. Er vollzieht ihn ohne Stange zum zwischen den Händen zum Ausgleichen – und wie es unter ihm aussieht, können wir nicht erkennen.

Ist da ein Rettungsnetz aufgespannt? Sind dort Zuschauer, die mit ihm hoffen und bangen ?

Hat er es noch weit oder ist er gerade gestartet ?

Ja, und dann wieder der Blick in unser Leben: Wo balancieren wir ? Wo sind wir auf einem heiklen, gefährlichem Weg, der uns alle unsere Konzentration abverlangt ? Wo dürfen wir uns keinen Fehltritt erlauben – wo sind wir auf einer Gratwanderung ?

Der Mensch auf der Gratwanderung des Lebens in der Spannung zwischen gut und böse.

6. Ein Blick zum Guten Menschen von Sezuan

Natürlich, als Christen sollen wir unser Leben so gut, so liebevoll, so einfühlsam wie möglich gestalten. Und doch: Und diese Frage soll - als letzte in diesem Rahmen – erlaubt sein:

Ist es denn auf dieser Erde – „mundus post lapsum“ überhaupt für uns Menschen, für einen Menschen möglich, immer nur gutes zu tun, ohne dass wir unser Kreuz brechen?

Einen bemerkenswerten literarischen Antwortansatz entdecke ich bei der kniffligen Parabel von Bertold Brechts „ Der gute Mensch von Sezuan“ oder übertragen „Von der Schwierigkeit immer nur gut zu sein.“

Dieses Büchlein – geschrieben in den Jahren 1938-.1940 in der Emigration – zeigt am Beispiel der liebevollen und gutes tuenden Hauptperson Shen Te das scheinbar allgemein gültige Gesetz dieser Welt auf, dass es unmöglich sein „ gut zu sein und auch selber gut leben zu können.“ Shen Te verzehrt sich für alle die, die Hilfe und Unterstützung bei ihr suchen und denen sie Gutes tut.

„Keinen verderben zu lassen, auch nicht sich selber, jeden mit Glück zu erfüllen, auch sich, das ist gut.“ (S.81, Z.21)

Irgendwann kann sie, die nur Gutes tun kann , nicht mehr. Sie ist materiell und emotional aufgebraucht und wird von den Wünschen der Hilfsbedürftigen überfordert.

„Besonders, die wenig zu essen haben, geben gerne ab.“ ( S. 49, Z.20)

Nun nimmt sie eine Doppelrolle an und verwandelt sich in ihren harten und verletzenden Cousin Shui Ta, der aufräumt, fordert und wieder Ordnung in das Umfeld bringt.

Erst nachdem dies geschehen ist und bildhaft durch den Bösen das Feld bereitet ist, kann die Gute wieder auftauchen.

„Ja, ich bin es. Shui Ta und Shen Te, ich bin beides... Gut zu sein und doch zu leben zerriß mich wie ein Blitz in zwei Hälften.. gut zu sein zu andern und zu mir konnte ich nicht zugleich.

Warum ist auf Bosheit ein Preis gesetzt und warum erwarten den Guten so harte Strafen?“

( S.139, Z.4ff.)

Das Gute im andauerndem Kampf mit dem Bösen auf dieser Welt ?

„Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem .“

ruft uns der Apostel Paulus in Römer 12,21 zu .

Leo Tolstoi überträgt diese biblische Jahreslosung in eine Metapher:

„ Gleichwie Feuer nicht Feuer löscht, so kann Böses nicht Böses ersticken.

Nur das Gute, wenn es auf das Böse stößt und von diesem nicht angesteckt wird, besiegt das Böse.“

In Gottes Namen – Amen

Thomas Plesch am 06.01.2011